Während das Rauchen zunehmend geächtet wird, bewegt sich die Diskussion langsam aber sicher in Richtung Ernährung. So steht bereits die Frage im Raum, ob Übergewicht nicht durch die Krankenkassen sanktioniert oder eine Steuer auf Zucker oder bestimmte Fette eingehoben werden soll. In diesem Zusammenhang kann auch der Gesundheitsurlaub und insbesondere die neue Ausprägung als Medical Wellness gesehen werden. Nachdem sich Wellness als Begriff etablieren konnte und mittlerweile eine derart gewaltige Ausdehnung erfahren hat, dass beispielsweise auch ein Käse zu einem Wellness-Käse aufsteigen konnte, erreicht uns nun diese neue Form des Wellness-Gedankens. Sie kann durchaus als ein Zurück zum Ursprung gesehen werden. Denn bei vielen Wellness-Angeboten stellt sich heute zu Recht die Frage, wo tatsächlich die Wirkung auf Fitness und Wohlbefinden liegt. Die Voranstellung von „Medical“ weist darauf hin, dass es sich um eine Dienstleistung handelt, die von der Intention her zweifellos der Gesundheit dienen soll. So handelt es sich bei den Angeboten um gesundheitswissenschaftlich begleitete Maßnahmen, die zu einer nachhaltigen Verbesserung des Wohlbefindens beitragen sollen. Eigenverantwortliche Prävention und allgemein die Förderung eines gesundheitsbewussten Lebensstils sollen sich dadurch ebenfalls einstellen, weshalb Medical Wellness auch als Verhaltensmedizin angesehen werden kann. Dadurch, dass das „Medical“ als Voranstellung zum „Wellness“ fungiert, entsteht gleichzeitig eine Zone zwischen dem Reparaturaspekt und einem eher kurzfristigen und gesundheitsorientierten Wohlfühlprogramm. Dieses Hybrid kann auch als eine Antwort darauf gesehen werden, dass in den vergangenen Jahren die Wellness- und Spa-Urlaube einen enormen Zulauf erlebten, während die medizinisch motivierten Reisen deutlich zurückgingen.
Gesundheitsurlaub im Wandel. Der Anstieg im Wellnessbereich betrug in Deutschland 30 Prozent, während beispielsweise die medizinischen Aufenthalte im Ausland in den letzten fünf Jahren laut World Travel Monitor um 18 Prozent zurückgingen. Damit sind die Deutschen – gemeinsam mit den Russen – im europäischen Vergleich äußerst gesundheitsbewusst. An dritter Stelle liegt Frankreich, gefolgt von den Niederlanden. Insgesamt haben in Europa gesundheitsorientierte und medizinisch motivierte Aufenthalte mit 9,4 Millionen Reisen einen Anteil von 2,4 Prozent an allen Auslandsreisen. Für den europäischen Gast sind beim gesundheitsorientierten Auslandsurlaub Spanien und Österreich die beliebtesten Destinationen. An dritter Stelle liegt Italien. Bei den medizinisch motivierten Aufenthalten sieht die Reihenfolge anders aus. Hier führen Ungarn, Deutschland und Tschechien. Die besondere Präsenz der osteuropäischen Staaten dürfte auf die günstigen Behandlungen in der Zahnmedizin sowie in der Schönheitschirurgie zurückzuführen sein.
Von der Reparatur zur Prävention. Durch Medical Wellness – ein Kunstbegriff, den es eigentlich gar nicht geben dürfte – können zusätzliche Anreize für einen Gesundheitsurlaub geschaffen werden, zumal hier auch die Chance besteht, dass sich die Krankenkassen an den Kosten beteiligen. Man sollte „Medical“ und „Wellness“ auch sauber voneinander trennen. Generell basiert der Gesundheitsurlaub in allen seinen Ausprägungen auf der Transformation des Reparaturansatzes der Medizin hin zur Prävention. Diese Veränderung basiert auf verschiedenen Megatrends, die schon seit einigen Jahren durch die Literatur geistern. Zu ihnen zählen beispielsweise die Individualisierung, das höhere Durchschnittsalter der Bevölkerung und ein Aufstieg jener Werte, die traditionell dem Weiblichen zugeordnet werden. Aus dem heraus lässt sich auch ein sehr stimmiges Bild von der typischen Zielgruppe herausarbeiten. Primär geht es um die kaufkräftigen „jungen Alten“, also um die über 50-Jährigen. So verfügt in Österreich die 50-plus-Generation über mehr als 52 Prozent aller Geldausgaben. Bei den Schweizern liegt dieser Wert gar bei 60 Prozent. Was dabei allerdings noch mehr ins Gewicht fällt, ist der Umstand, dass diese Generation sehr frei über dieses Geld verfügen kann, weil die Kinder meistens bereits selbstständig sind. Im Durchschnitt beträgt dieses verfügbare Kapital jährlich rund 21.300 Euro. Bis dato werden die über 50-Jährigen noch unterschätzt, obwohl sie auf Gesundheit, Komfort und Freizeit größten Wert legen, so der Trendanalyst Christian Hehenberger, der zuletzt das Buch „Die Zukunft der 50-plus-Generation“ veröffentlichte.
Zielgruppe in der Krise? In der Schaffung weiterer Angebote für den Gesundheitsurlaub besteht sicherlich noch Potenzial. Zu überlegen ist allerdings, dass durch das sukzessive Ausdünnen des Mittelstands in den letzten Jahren ein immer größeres Gefälle bei den Einkommen entstanden ist. Blickt man lediglich auf das durchschnittliche Einkommen, so mag dies einen sehr beachtlichen Wert darstellen. Das Einkommen ist jedoch sehr ungleich verteilt, so dass sich selbst innerhalb der infrage kommenden Altersschicht nur noch ein Teil derartige Angebote leisten kann. Es befinden sich innerhalb der Zielgruppe viele Menschen nicht mehr in regulären Arbeitsverhältnissen oder wurden gar bereits aus der Arbeitswelt verdrängt. Das Bedürfnis nach einer Work-Life-Balance wird dort naturgemäß wenig ausgeprägt sein. An dieser Entwicklung wird sich so rasch auch nichts ändern, zumal für einen großen Teil der Bevölkerung das Realeinkommen im Sinken begriffen ist. Für diese Gruppe trifft leider auch zu, dass Gesundheit mit dem sozialen Status korreliert. Das Glasgow-Syndrom bzw. die signifikant niedrigere Lebenserwartung bei den Angehörigen der Unterschicht führt sehr deutlich vor Augen, dass ein gesunder Lebensstil und Prävention zwar als Ideale existieren und propagiert werden, jedoch eher ein Privileg der Besserverdiener sind. Die diversen Ausprägungen des Gesundheitsurlaubs stoßen daher an gewisse Grenzen des Wachstums.
Puritaner im Vormarsch. Viel fragwürdiger als übertriebene Wachstumsprognosen sind allerdings die Erwartungen, die mit den Effekten der Gesundheitsurlaube verbunden sind. Angesichts einer immer puritanischeren Gesinnung und einer entstehenden Verzichtskultur kann der Gesundheitsurlaub gerade dann als Strohhalm bzw. als Alibi für all jene gesehen werden, die dadurch im Sinne der kognitiven Dissonanz in einen Gewissenskonflikt gestürzt werden. Vor diesem Hintergrund ist es beispielsweise auch nicht verwunderlich, dass ausgerechnet jene Personen, die an Übergewicht leiden, auch am meisten für Sportbekleidung exklusiver Marken ausgeben. Aus ähnlichen Motiven werden sicherlich auch Gesundheitsurlaube gebucht, was den Anbietern zwar egal sein kann, jedoch im Sinne der Prävention kaum Auswirkungen hat.
Gesellschaftliche Entwicklungen. Der Gesundheitsurlaub ist daher vielleicht weniger als ein Ausdruck allgemeinen Gesundheitsbewusstseins zu sehen, sondern eher als ein Beispiel für das Bedürfnis nach dem „Switchen“. Dabei entscheidet sich der Kunde für ein Produkt, das ihm bei der Nutzung noch Entscheidungen offen lässt. Er kann während des Urlaubs also jenem Optionalismus frönen, der ihn auch während seines Alltags umgibt. Wie beim Kauf eines SUV kann er sich jederzeit für eine gewisse Funktionalität entscheiden. Dadurch geht es nicht immer um das, was man tatsächlich tut, sondern um das, was man potenziell vermag. Selbst dann, wenn von der Zielgruppe insbesondere die gesundheitsfördernden Angebote genutzt werden, wenn der Großteil der Zeit nicht in den Liegen verbracht werden würde und die Fitnessräume nicht verwaist wären, dann wäre es fraglich, ob in Zukunft dadurch noch mit volkswirtschaftlichen Effekten zu rechnen ist. Denn während Wellness darauf abzielt, in der Phase des Erwerbslebens jenen Grundstein zu legen, dass spätere Pflegeleistungen möglichst abgewendet werden, sind es gegenwärtig die Kinder und Jugendlichen, die bereits an den typischen Zivilisationskrankheiten, an Übergewicht und Bewegungsmangel laborieren. Die Frage steht also im Raum, wogegen ein beachtlicher Teil der nachkommenden Generation dann überhaupt noch vorbeugen soll. Wird es gar eine Phase geben, in der sich die über 50-Jährigen in eine Wellness-Oase begeben, damit sie danach wieder genug Kraft haben, um ihre Kinder zu pflegen?
Dem Altern begegnen
Das unterschiedlich angestiegen Interesse an den diversen Arten des Gesundheitsurlaubs:
Gesundheitsurlaub/Health Care +119 Prozent
Anti-Aging-Urlaub + 366 Prozent
Medical Wellness + 157 Prozent
Passive Wellness + 4 Prozent
Beauty-Urlaub + 124 Prozent
(Quelle: Münchner Institut für Freizeitwirtschaft, 2007)
WELLNESS WORLD Business, Ausgabe 1/12