Wichtig ist, zu wissen, dass die Anwendung der Homöopathie eine spezielle Ausbildung wie auch Supervision bei Beginn der aktiven Tätigkeit erfordert. Daher ist rein theoretisches Wissen nicht ausreichend für eine Therapie. Am Beginn sei die Entstehungsgeschichte der Homöopathie erwähnt. Es war ein einziger Arzt, der die Methode der Homöopathie fast bis zur Vollendung gebracht hat: Christian Friedrich Samuel Hahnemann, am 10. April 1755 in Meißen geboren. Im Rahmen seines Medizinstudiums kam er auch nach Wien, wo er bei Freiherr Joseph von Quarin (1733?1814), dem Leibarzt von Kaiser Joseph II und Gründer des Alten AKH, im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Medizin am Krankenbett studieren durfte.
Er absolvierte das Medizinstudium, das aber für ihn unbefriedigend war, da die Medizin im 18. Jahrhundert durch Verfahren geprägt war, die wissenschaftlich nicht fundiert waren, z.B. Aderlässe, Klistiere, Blutegel etc. Hahnemann gab daher die Ausübung des medizinischen Berufs auf, da er von dieser Art von Medizin enttäuscht war, und sicherte das Überleben seiner rasch anwachsenden Familie durch Übersetzungen, wobei er eigenständige Anmerkungen hinzufügte. Er hat sich übrigens auch mit wichtigen hygienischen Aspekten beschäftigt und war ein anerkannter Chemiker.
Ähnliches durch ähnliches heilen
Wohl durch einen Gedankenblitz, der nicht dokumentiert ist, kam Hahnemann eine der Grundlagen der Homöopathie in den Sinn, nämlich ?Similia similibus curentur? (Ähnliches durch Ähnliches zu heilen). Dies bedeutet vereinfacht, dass z.B. Kranke, die Malariasymptome aufweisen, mit Chinarinde, die dieselben Symptome beim Gesunden hervorrufen kann, behandelt und geheilt werden können. 1796 wurde das Ähnlichkeitsprinzip veröffentlicht, im selben Jahr wendete Edward Jenner erstmals die Kuhpockenimpfung an.
In weiterer Folge untersuchte Hahnemann verschiedenste, auch von der damaligen Medizin verwendete, vor allem pflanzliche und mineralische Substanzen zunächst an sich selbst, dann auch an seiner Familie und später an Kollegen sowie Freunden beiderlei Geschlechts. Er schrieb die an den gesunden Versuchspersonen beobachteten Zeichen und Symptome in Form eines Kopf- bis Fußschemas genau auf. So entstanden die so genannten Arzneimittelbilder durch Prüfung am Gesunden (Organon, 6. Auflage: §§ 105?108, 118, 119, 144). Da die Zahl der Symptome sehr groß war, entstanden später Repertorien, also Register, mit deren Hilfe die Arzneimittel anhand ihrer Lokalisation leicht in alphabetischer Anordnung auffindbar sind. Clemens von Bönninghausen verfasste eines der ersten Repertorien; das wohl bekannteste war das des Amerikaners James Taylor Kent: ?Repertory of the Homeopathic Materia Medica?.
Beginn der homöopathischen Praxis
1792 behandelte Hahnemann den in Wahnsinn verfallenen Kanzleisekretär Klockenbring in Georgenthal bei Gotha. Im Gegensatz zur damals gebräuchlichen Art, psychisch Kranke mit rigorosen Mitteln zu behandeln, versuchte Hahnemann ?durch gütiges Zureden, neuartige körperliche und seelische Behandlungsweise einen neuen Weg zu gehen?. Mit dieser für unsere Begriffe sehr fortschrittlichen Art hatte Hahnemann einen vielbeachteten Erfolg.
Zum Leidwesen seiner Familie zog Hahnemann in 25 Jahren 23 Mal um. Im Alter von 79 Jahren lernte er die 35-jährige Mélanie d?Hervilly Gohier, eine Pariser Malerin, kennen. Sie heirateten im Jahre 1835. Melanie brachte ihn nach Paris, wo er die LM- oder Q-Potenzen entwickelte, die erst in der letzten (6.) Auflage des Organon angeführt sind. Hahnemann verstarb mit 88 Jahren im Jahr 1843 an den Folgen einer Bronchitis.
Die weitere Entwicklung der Homöopathie war einerseits geprägt durch die naturwissenschaftlich-kritische Richtung, andererseits durch die an der strengen Individualisierung der Symptome orientierte Richtung. Während die Anhänger der naturwissenschaftlich-kritischen Richtung nur Potenzen bis zu einer Höhe verwendeten, bei der noch eine große Zahl von Molekülen der Ursprungssubstanz zu erwarten ist, verwendete die zweite Richtung gerne Hochpotenzen. Hauptvertreter dieser Gruppe sind Constantin Hering, T. F. Allen, E. A. Farrington und J. T. Kent. Erst in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts kam diese Richtung durch Pierre Schmidt und Jost Künzli nach Europa.
Stellenwert der Qualitätssicherung
Die Einnahme erfolgt zumeist oral in Form von Globuli (Kügelchen), die aus Saccharose bestehen und mit einer Arzneimittellösung imprägniert sind. Warum hat Hahnemann nun die verschiedenen (C-, D-, LM-)Potenzen eingeführt? Er testete zunächst die Arzneimittel in der Urtinktur, also in unverdünnter Form. Manche Arzneimittel sind aber im Urzustand toxisch, weswegen er über eine andere Form der Zubereitung nachdachte. Dies vor allem deshalb, weil eines der Familienmitglieder bei einer Arzneimittelprüfung in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten war. Hahnemann verwendete zunächst reine Verdünnungen; ab 1800 ist bekannt, dass er die Arzneimittel auch verschüttelt hat. Potenzierung bedeutet stufenweise Verdünnung und Verschüttelung (Dynamisation, § 269).
Nach Annahme der Homöopathen führt die Verschüttelung zum Übergang der Wirkung eines Arzneimittels auf das Lösungsmittel. Die Grenze für naturwissenschaftlich orientierte Homöopathen ist die Loschmidt?sche Zahl: 6 x 1023 (= Zahl der Moleküle in einem Mol eines Stoffes), weswegen sie Potenzen nur bis zu einer C11, D23 oder LM3 verschreiben. Hahnemann machte viele Untersuchungen mit einer C30 (§ 128). Die klassische Arzneimittelprüfung wird mit C30 durchgeführt! Man kann aber problemlos homöopathisch auch mit niedrigen Potenzen arbeiten. Nochmals soll betont werden, dass das Ähnlichkeitsgesetz das Zentrum der Homöopathie darstellt. Wird das Ähnlichkeitsgesetz nicht angewandt, kann man nicht mehr von Homöopathie im Sinne Hahnemanns sprechen!
Eine herausragende Bedeutung hat die Qualitätssicherung gewonnen, die in allen Bereichen der Arzneimittelherstellung, sowohl der konventionellen als auch der potenzierten Präparate, in den Vordergrund gestellt werden muss. Bei potenzierten Präparaten betrifft dies vor allem die korrekte Herstellung.
Organon der Heilkunst
Das wohl bekannteste Werk Hahnemanns ist das ?Organon der Heilkunst?, das erstmals 1810 herausgegeben wurde und knapp 300Paragraphen umfasst. Zu vielen der Paragraphen gibt es Anmerkungen, die oft länger ausfallen als die entsprechenden Paragraphen selbst. Besonders beeindruckend ist der Paragraph1 (§ 1): ?Des Arztes höchster und e i n z i g e r Beruf ist, kranke Menschen gesund zu machen, was man Heilen nennt.? Hier wird Bezug genommen auf die wesentliche Tätigkeit des Arztes und auf den Unterschied zwischen ?krank? und ?Krankheit?. Während in der konventionellen Medizin das Finden der Diagnose mit diagnosespezifischer Behandlung im Vordergrund steht, es also entscheidend ist, die Krankheit(en) eines Patientin korrekt zu erkennen und zu behandeln, so steht in der Homöopathie der kranke Mensch im Mittelpunkt des Interesses. Das bedeutet, dass nicht das organspezifische Leiden primär behandelt wird, sondern dass versucht wird, den kranken Menschen in seiner Gesamtheit zu erfassen. Um jedes Missverständnis zu vermeiden: Dies schließt in der Homöopathie natürlich auch alle diagnostischen Verfahren und Befunde sowie die Reaktion auf etwaige Therapieformen mit ein. Bezüglich der Arzneimittelfindung sind dagegen die vom Patienten oder seinen Angehörigen wahrgenommenen Symptome vorrangig. Das Bemühen in der Homöopathie ist die möglichst vollkommene Wiederherstellung des Zustandes des Patientin vor Eintreten der Erkrankung.
§ 2: ?Das höchste Ideal ist schnelle, sanfte, dauerhafte Wiederherstellung der Gesundheit, oder Hebung und Vernichtung der Krankheit in ihrem ganzen Umfange auf dem kürzesten, zuverlässigsten, unnachtheiligsten Wege, nach deutlich einzusehenden Gründen.? Es wird oft gefragt, ob Homöopathie auch rasch wirken kann oder nur bei Patienten mit chronischen Krankheiten einsetzbar ist. Wie rasch Homöopathie tatsächlich wirken kann, lässt sich bei Verletzungen beobachten. Nur wer den Rückgang von Beulen oder von Schmerzen, z.B. bei Nagelverletzungen, selbst beobachtet hat, weiß, was die Homöopathie zu leisten imstande ist. Hier wird von Patienten oft von ?Sekundenphänomenen? berichtet. Auch bei akuten entzündlichen Erkrankungen können sich die Symptome bei richtiger Mittelwahl innerhalb weniger Stunden bessern.
Nach § 6 muss der Arzt als ?vorurteilsloser Beobachter? fungieren und die Symptome der Patienten möglichst unverfälscht notieren.
Mehrere Arzneimittel zugleich dürfen nur in Ausnahmefällen verabreicht werden (dies beschreiben der §124 für Arzneimittelprüfungen und der §273 für die Anwendung bei Patienten). §124: ?Jeden Arzneistoff muss man zu dieser Absicht (Arzneimittelprüfung; Anmerkung der Verfasser) ganz allein, ganz rein anwenden, ohne irgend eine fremdartige Substanz zuzumischen, oder sonst etwas fremdartig Arzneiliches an demselben Tage zu sich zu nehmen, und eben so wenig die folgenden Tage, so lange als man die Wirkungen der Arznei beobachten will.?
Es ist schwierig, die Krankheitsbilder zu definieren, bei denen die Homöopathie besonders wirksam ist, da ja immer der ganze Patient behandelt wird. Es hat sich aber herausgestellt, dass Homöopathie besonders bei entzündlichen Prozessen, bei rheumatischen Beschwerden, bei Kopfschmerzen, aber auch bei vielen anderen Zuständen, die oft gar nicht eindeutig diagnostisch einzuordnen sind, helfen kann.
Vorsicht ist geboten bei mechanisch bedingten Krankheiten: Man muss natürlich, so wie in der konventionellen Medizin, alle Möglichkeiten der Diagnose ausschöpfen. Damit kann in einer Zusammenarbeit zwischen konventioneller und homöopathischer Medizin sehr viel zum Wohle der Patientinnen und Patienten erreicht werden. Die Forschung hat bereits einige spektakuläre Erfolge erbracht (www.homresearch.org).
Univ.-Prof. Dr. Michael Frass
Medizinische Universität Wien
Klinik für Innere Medizin I
Pros & Contras
Pro
· Individuell
· Rasche Erfolge
· Keine Belastung des Stoffwechsels
· Kügelchen sind leicht zu applizieren
· Positive Metaanalysen und viele Studien mit Zellen, Tieren und am Menschen
· Lange Erfahrung· Kombination mit konventioneller Medizin
· Heilung bei Symptomen noch vor Ausbildung organischer Defekte möglich
· Lehre an Universitäten beginnt
Contra
· Zeitaufwändig
· Lange Ausbildung
· Schwieriges Verständnis
· Arzthonorar ohne Vergütung seitens der Krankenkassen
· Wenig Unterstützung der Homöopathieforschung
· System seit zwei Jahrhunderten unverändert
· Keine Moleküle in Hochpotenzen enthalten
· Patientinnen und Patienten müssen sich selbst beobachten
· Lehre an Universitäten beginnt
Contra