SPA WORLD business: Kaum jemand kann auf eine so lange Erfahrungsgeschichte in der Wellnessbranche zurückblicken wie Sie. Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit: Welche Entwicklungen hat dieser Bereich innerhalb der letzten 10 bis 20 Jahre durchlaufen?
Paul Haslauer: Zwischen den letzten 10 Jahren und der Zeit davor liegt eine Revolution ? das Aufkommen der privaten Gesundheitsvorsorge. Damals begannen die Menschen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Das hängt wohl auch mit der demografischen Entwicklung zusammen: Der Mensch erreicht relativ frühzeitig eine Sättigung an materiellem Gut und beginnt dann, sich Gedanken über seine weitere Zukunft zu machen. Und hier spielen Prävention, die Erhaltung der Gesundheit und Lebensfreude eine wesentliche Rolle ? mit Recht!
Das Thema Ihres Hauses ist ?aus der Tradition schöpfen?. Gehen Sie davon aus, dass in der Tradition, im Alten alles schon vorhanden ist?
Die Grundwerte der Anwendungen waren bereits vorhanden, aber die von uns gewählte Herangehensweise ist eine neue. Beispielsweise haben wir eine der ganz alten Rezepturen aus der Klostermedizin zum heutigen Alltag gemacht: die Stempelbehandlung mit Kräutern. Hier verwenden wir eine Rezeptur aus dem Jahr 875 nach Christus. Natürlich übernehmen wir diese nicht Wort für Wort, aber die Grundidee war schon damals vorhanden. Ein anderes Beispiel: Schon im 19. Jahrhundert gab es Anwendungen mit Schlämmen, etwa das klassische Moorbad in Bad Aibling, Salzburg. Ausgehend von diesem Ansatz, entwickelten wir das Rasul, durch ein orientalisches Badezeremoniell ergänzt und zu einer Gruppenanwendung umfunktioniert. So haben wir die Schlammbehandlung in ihren Grundwerten belassen, aber einen zeitgemäßen Wunsch der Badegäste herausgearbeitet: den Wunsch nach Entschlackung. Das Einzelbad stellten wir dabei zugunsten der Gruppenanwendung zurück, weil es nicht nur eine gewisse Vereinsamung der Menschen verstärkt, sondern auch betriebswirtschaftlich problematisch ist.
Wo liegen Ihrer Meinung nach die Stärken, wo liegen die Schwächen der europäischen Wellnessbewegung?
Die Stärke der europäischen Wellnessbewegung liegt darin, dass sie von Menschen getragen wird, die in der Lage sind, anderen Menschen zu dienen. Wichtig sind außerdem die Kunden. Wellness ist eine boomende Branche. Da findet sich selbstverständlich alles, was schnell zu Geld kommen möchte. Und natürlich gibt es hierfür auch Käufer. Auf der anderen Seite aber gibt es Gäste, die man nicht so billig überzeugen kann, die genauer hinsehen. Diese Gäste werden künftig eine bedeutende Rolle spielen, weil sie besser informiert sind und darauf achten, wofür sie ihr Geld ausgeben. Nachholbedarf besteht dagegen auf Seiten der Wellnessbetreiber: Sie sollten sich einer entsprechenden Ausbildung unterziehen, um von ihrer Sache auch wirklich etwas zu verstehen. Denn mit dem Verständnis steigt die Kritikfähigkeit und mit der Kritikfähigkeit ist die Sicherheit in der Handhabung der Angebote verbunden.
Damit sprechen Sie ein Thema an, das wir bereits in den letzten Ausgaben unseres Magazins behandelt haben: die Ausbildung und Qualifikation des Personals.
Der Erfolg eines Hauses hängt vom Personal ab! Das Personal ist der Überbringer der Leistungen an die Gäste. Und letztlich sind es die Qualifikation, die Freundlichkeit und die Menschlichkeit dieser Überbringung, die den Gast überzeugen. Dazu kommt die Tatsache, dass es heute an die 400 Wellnessangebote gibt. Diese Bandbreite kann ein einzelner Betreiber gar nicht mehr abdecken. Man wird sich also auf einige wenige Angebote konzentrieren und dabei jene Themen wählen müssen, die zum Haus, zum Standort und zu den Gästen passen. Diese wenigen Angebote möge man wirklich sorgfältig und auf hohem Qualitätslevel durchführen. Und hierfür ist Qualitätspersonal notwendig.
Ihre persönliche Meinung zu TCM und TEM?
Beide, sowohl die Traditionelle Chinesische als auch die Traditionelle Europäische Medizin, haben ihren Stellenwert. In Europa will man von der TCM lernen, in China von der TEM. Das Interesse ist also beidseitig vorhanden und der Austausch ist sinnvoll. Was man bei uns realisieren kann, sind aber lediglich Auszüge aus der TCM. Es ist unmöglich, die gesamte Philosophie bei uns zu implantieren und die Gäste anzuhalten, ihr Leben entsprechend zu führen. Es wird also immer ein Stückwerk bleiben, jedoch ein interessantes Stückwerk. Dabei dürfen wir aber keinesfalls unsere eigenen Errungenschaften unter den Scheffel stellen! Wir haben eine sehr, sehr wertvolle traditionelle Medizin!
Der Zusammenhang zwischen Wellness und Sinnlichkeit oder Erotik ist im Grunde nichts Neues. In Europa zählen Sie aber zu den Ersten, die ihn konkret thematisieren.
Dieses Thema ist so alt wie die Menschheit selbst. Gerade heute gewinnt es aber an Bedeutung, da die Menschen aufgrund ihres Lifestyles zunehmend vereinsamen. Es kommt zu einem Mangel an gemeinsamen Erfahrungen, an Berührung. Frauen nehmen diesen Mangel stärker wahr, sie leiden eher darunter. Männer hingegen bagatellisieren ihn, gehen leichter drüber hinweg. Genau hier aber liegt für uns eine Chance: Frauen erwarten heute auf ihre Bedürfnisse ein klares Signal. Dieses müssen wir rasch in Form eines Stichworts geben, um dann in weiterer Folge ausführlicher über unser Angebot zu informieren. An dieser Stelle tut sich eine zweite Ebene des Informierens auf: die medizinisch-wissenschaftliche. Hier wiederum bekunden die Männer ihr Interesse. So lassen wir Wissenschaftler Auskunft etwa über die Berührungsrezeptoren und über psychosomatische Aspekte geben. Dabei eröffnen sich hochinteressante Zusammenhänge, die aufzeigen, dass es sich bei alldem nicht um erotisches Rotlichtgetue handelt, sondern um ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Und diesem wollen wir uns ernsthaft stellen.
Woher nehmen Sie nach 40 Jahren im Wellnessbereich immer noch neue Ideen für weitere Entwicklungen?
Die Signale kommen von den Gästen. Pro Jahr führe ich mindestens 200 Behandlungen selbst durch. Da frage ich nach und höre genau hin. So erfährt man sehr viel von den Menschen, etwa worauf wir künftig achten müssen, in welche Richtung unsere Entwicklungen gehen sollten. Ich sehe es als unsere Aufgabe an, die Wünsche der Gäste zu erkennen, die Signale zu verstehen.
Vielen Dank für das Gespräch und herzliche Gratulation zu Ihrem Jubiläum!