In den 1950er Jahren griff der amerikanische Sozialmediziner Halbert L. Dunn auf diesen Ausdruck zurück, um seinen Vorstellungen von einem Paradigmenwechsel im Medizinsystem der USA einen Namen zu geben. Er bezeichnete Wellness als ein Methoden-gerüst zur Maximierung der individuell vorhandenen Potenziale, unter Berücksichtigung der gegebenen Lebensum-stände. In den folgenden Jahrzehnten wurde dieser Grundgedanke der Förderung von Selbstmanagement-Kompetenz und Selbstverantwortung für die Gesundheit von verschiedenen Prota-gonisten aufgegriffen, weiterentwickelt und in die Praxis umgesetzt (u.a. von Ardell, Hettler, Travis, Cooper).
Wenngleich es differenzierende Dimensionen eines Wellness-Lebensstils gibt, wie etwa körperliche, emotionale, mentale oder spirituelle Wellness, so beziehen sich diese Aspekte doch immer auf das Individuum selbst. Insofern ist der Wellnessbegriff untrennbar mit dem einzelnen Menschen verknüpft. Die Wortneuschöpfung ?Medical Wellness? hingegen kann nur ein Produkt- oder Dienstleistungsangebot bezeichnen. Sie besitzt keinerlei Bedeutung für das Konstrukt Wellness. Man kann den Menschen medizinisch betrachten oder behandeln, als ein Teilaspekt des Wellnessbegriffs macht dieser Ausdruck jedoch keinen Sinn.
Die Medizin kann als Anwendungs- und Handlungswissenschaft zur Erkennung, Behandlung und Vorbeugung von Krankheiten definiert werden. Den konzeptionellen Unterschied zwischen Medizin und Wellness hat zum Beispiel Travis (1981) mit seinem Krankheits-Wellness-Kontinuum veranschaulicht. Travis, selbst Arzt, bezweifelt nicht, dass sich auch Ärzte beruflich dem Wellnessmodell verpflichten können. Er hält es jedoch für sehr unwahrscheinlich, dass ein Arzt beide Rollenfunktionen zugleich ? die des medizinischen Behandlers und die des partnerschaftlichen Wellness-Vermittlers ? wahrnehmen kann. Sehr problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang auch die Erwartungshaltung des Klienten, da dieser den Arzt traditionell und nicht zu Unrecht als Experten und damit verantwortlich für seine gesundheitlichen Belange wahrnimmt. Diese Rückübertragung von Verantwortung ist jedoch nicht im Sinne des Wellness-Konzeptes.
Die Bedeutung der Diagnostik
Eine wesentliche Differenzierung zwischen Wellness- und Medical-Wellness-Angeboten könnte man in der Auswahl an Wellness-Aktivitäten und -Anwendungen suchen, die im Falle eines Medical-Wellness-Angebotes medizinisch und für den jeweiligen Einzelfall begründet sein sollten. Hierfür wäre eine entsprechende Diagnostik die Voraussetzung. Handelt es sich um sensitive Früherkennungsmaßnahmen, so mag dies durchaus sinnvoll und konzeptkonform sein. Bei einem positiven Befund wären dann gegebenenfalls passende Wellnessaktivitäten indiziert, die sich günstig auf das erkannte gesundheitliche Problem auswirken (z.B. Ausdauersport und Entspannungstraining bei Feststellung eines grenzwer-tigen Blutdrucks).
Welche Art von medizinischer Diagnostik erfolgt, spielt im Kontext Wellness sicherlich auch eine bedeutende Rolle. Neben Methoden der wissenschaftlichen Medizin tauchen hier zahlreiche Verfahren aus dem Alternativ-, Komplementär- und Glaubensbereich auf. Zur Begründung wird von deren Vertretern unter anderem angeführt, dass die Schulmedizin die ganzheitliche Betrach-tung des Menschen missachte und zudem im Vorfeld manifester Erkrankung nur unzureichende diagnostische Verfahren zu bieten hätte. Diese paramedizinischen Verfahren sind mehr oder weniger umstritten, wenngleich sie sich eines beachtlichen Zulaufs erfreuen.
Anwendungen und Behandlungen
Neben der Diagnostik wird im Rahmen medizinisch basierter Wellness-Angebote auch die Auswahl der Folgemaßnahmen eine Abgrenzung gegenüber allgemeinen Wellness-Angeboten darstellen können.
Zunächst können Angebote aus dem Bereich der unspezifischen Entspannung (d.h. ohne Anwendung spezieller, zu erlernender Techniken), der kosmetischen und der allgemeinen Wohlfühl-Behandlung ausgeschlossen werden, wenngleich die gesundheitsfördernden Wirkungen auch dieser Maßnahmen wissenschaftlich erwiesen sind.
Es wären nur solche Maßnahmen zu wählen, die auf Basis einer medizinischen Diagnostik eine differenzierte und indikationsspezifische medizinische Wirkung erzielen und in erster Linie den Lebensstil adressieren. Dies kann zum Beispiel eine spezielle Diätform oder eine auf ein bestimmtes Krankheitsbild zugeschnittene Entspannungstechnik sein. Sinnvoll erweisen sich insbesondere solche Maßnahmen, die nicht nur isolierte Verhaltensweisen, sondern komplexe Verhaltens- und Einstellungsmuster zum Ziel haben. Solche integrierten Programme existieren bereits (z.B. Kneipp, Felke, Ornish, aber auch im Rahmen der Traditionellen Chinesischen Medizin und der ayurvedischen Gesundheitslehre), sie sind in der Praxis jedoch noch recht selten in kompetenter und vollständiger Form anzutreffen.
Die Anteile der passiven Behandlung sollten ? genau so wie bei allgemeinen Wellness-Angeboten ? im Verhältnis zu den aktiven Programmteilen nicht dominieren. In Deutschland ist der Begriff Wellness dennoch irriger Weise vorwiegend mit genussvollen, verwöhnenden Behandlungen in Verbindung gebracht worden, wobei diese in der Regel von Kosmetikern, Physiotherapeuten, Masseuren, aber auch sonstigen behandlungsaktiven Berufsgruppen teils fragwürdiger Qua-lifikation durchgeführt werden. Sicherlich gehört zu einer gesundheits- und wellnessbewussten Lebensweise auch die passiv er-fahrene Körperpflege und (manuelle) Behandlung. Das heutige große Bedürfnis vieler Wellness-Suchenden nach Entspannung und Entlastung, nach wohltuender Behandlung, Wertschätzung und Zuwendung entspringt einem substanziellen Defizit im Lebens- und Arbeitsalltag. Es wird in der Regel von der Anbieterseite kompensatorisch befriedigt, ohne dass die Ursachen dieses Defizits thematisiert oder gar behoben werden.
Die medizinische Kompetenz
Schließlich kann sich das Angebot ?Medical Wellness? von anderen Wellness-Varianten durch die Art der fachlichen Betreuung unterscheiden. Zu fordern wäre der Logik folgend eine medizinische Kompetenz. Hier scheiden sich allerdings sehr schnell die Geister. Einerseits arbeiten bereits unzählige Fachkräfte mit medizinischer Kompetenz im traditionellen Wellness-Bereich, sodass allein hierdurch schon eine Differenzierung nicht mehr möglich ist. Andererseits hat medizinische Kompetenz viele Facetten. Sie beginnt bei der Fußpflege und endet bei schamanischen Ritualen. Gerade durch die hohe Attraktivität des Wellness-Konzeptes hat sich ein zweiter Gesundheitsmarkt etabliert, der neben sinnvollen lebensstilorientierten Angeboten inzwischen auch dubiose paramedizinische und -therapeutische Verfahren beheimatet. Diese haben zum Teil schon auf das neue Etikett ?Medical Wellness? gewechselt. Mit der Förderung und Ausbreitung dieser Angebotsform wird dem Zustrom solcher unseriösen Methoden leider noch zusätzlicher Vorschub geleistet.
Fazit
Der Deutsche Wellness Verband hält den Begriff ?Medical Wellness? aus den genannten Gründen für problematisch. Die Bemühungen um eine einheitliche Definition, wie sie von Prof. Dr. Horst Klinkmann (Rostock) ergriffen wurden, haben bislang wenig zur Konturierung und Abgrenzung beigetragen. Es werden im Gegenteil immer weitere Akteure eingeladen, sich in einem neuen Medical Wellness Markt zu betätigen. Dennoch stellt sich der Verband vor allem unter dem Aspekt des seit vielen Jahren geleisteten Verbraucherschutzes der Auseinandersetzung mit ?Medical Wellness? und definiert daher auch Qualitätsanforderungen und Kriterien, nach denen entsprechende Angebote und Anbieter von Sachverständigen geprüft und zertifiziert werden können.
Lutz Hertel ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Wellness Verbandes e.V.