Wann ist ein Gast unzufrieden? Wann ist er zufrieden? Oder gar begeistert? Ich besuche gerne ein bestimmtes kleines Restaurant zur Happy Hour, bestelle meist ein Glas Wein und einen Teller Shrimps. Warum ich so gerne ausgerechnet dorthin gehe? Nun, das Restaurant bietet gute Parkmöglichkeiten. Das Essen ist frisch und von gleichbleibender Qualität. Die Barhocker sind bequem. Das Weinangebot vielfältig.
Schön und gut, das können viele andere Restaurants aber auch, oder? Stimmt, aber der Service, den wir in „unserem“ Restaurant bekommen, ist unschlagbar, und deshalb sind wir loyale Kunden – ich würde mich sogar als „Botschafter“ bezeichnen, so sehr schwärme ich …
Hier möchte ich ein kleines Beispiel anführen:Eines Abends sitzen wir an einem kleinen Hochtisch, direkt hinter der Theke. Mein Glas ist leer und ich möchte nachbestellen. Unsere Lieblings-Bedienung, nennen wir sie einmal Jess, steht hinter der Bar und ist in ein Gespräch mit einem Gast vertieft. Ich schaue einige Zeit in ihre Richtung, in der Hoffnung ihre Aufmerksamkeit zu erheischen. Da blickt sie mich für einen Bruchteil einer Sekunde an. Ich schaffe es wohl gerade nicht mehr rechtzeitig, mit meinem Finger auf mein Glas zu tippen, und schon ist sie mit ihrer Aufmerksamkeit auch wieder ganz bei ihrem Gesprächspartner.
Was passiert dann?Szenario 1: Nichts. Und das wäre nicht einmal verwunderlich. Niemand würde sich darüber beschweren, wenn Jess meine kleine Geste nicht gesehen oder richtig gedeutet hätte. Stattdessen hätte sie uns einfach bei ihrer nächsten Runde durch das Lokal fragen können, ob wir noch etwas bestellen möchten. Nichtsdestotrotz wurde hier das Bedürfnis des Gastes erst einmal ignoriert.
Szenario 2: Sie hat tatsächlich meine Geste bemerkt und verstanden und bringt mir ein neues Getränk. Ziemlich cool – darüber hätte sich sicher jeder gefreut. Das Bedürfnis des Gastes wurde hier sofort erfüllt.
Szenario 3: Was wirklich geschah: Noch während ihres Gesprächs mit dem Gast an der Bar greift Jess in den Kühlschrank nach der Flasche für mein Getränk und füllt ein frisches Glas, das sie mir sogleich serviert. Sie entschuldigt sich mehrmals, dass ich erst nachfragen musste und sie mir nicht gleich ein neues Glas angeboten hat. Wen wundert es bei so viel Dienstleistungsbereitschaft, dass sie mein zweites Getränk nicht auf die Rechnung gesetzt hat – Jess’ Anspruch: Gastbedürfnisse erkennen, bevor der Gast anfragt. Das nenne ich einen exzellenten Service!
Key Takeaway: Exzellenter Service bedeutet, Bedürfnisse des Gastes zu erkennen, bevor dieser sie explizit äußern muss.
Nun haben sich drei amerikanische Wissenschaftler mit Namen Parasuraman, Zeithaml und Berry in den 1980ern mit dem Thema „Servicequalität“ beschäftigt. In diesem Zusammenhang ist ihr bekanntes Servqual-Model – und GAP-Model als dessen Grundlage – entstanden. Die drei Herren haben sich gefragt, welche Kriterien KundInnen wichtig sind, wenn diese Dienstleistungen bewerten. Und dabei haben sie folgende 5 Dimensionen zur Erreichung der Kundenzufriedenheit identifiziert:
Key Takeaway: Exzellenter Spa-Service ist kein Zufall und "passiert" auch nicht einfach nur, indem man andere erfolgreiche Spa-Einrichtungen kopiert.
Dimension #1 Zuverlässigkeit:
ist die Fähigkeit, den versprochenen Service zuverlässig, korrekt und vollumfänglich zu liefern.
Das ist ein operatives Thema rund um die Kernkompetenzen des Unternehmens:
- Sind die MitarbeiterInnen qualifiziert und geschult?
- Sind die Räumlichkeiten angemessen, sicher, funktional?
- Können alle zusätzlichen operativen Elemente zugesichert werden? (z. B. Zahlungssysteme, Sicherheit, Hygiene etc.)
- Werden alle zugesagten Dienstleistungsmerkmale eingehalten? (z. B.: Dauert die Behandlung tatsächlich die vereinbarten 60 Minuten?)
Key Takeaway: "Zuverlässigkeit" ist die Fähigkeit, den versprochenen Service zuverlässig, korrekt und vollumfänglich zu liefern.
Dimension #2 Reaktionszeit
Das ist der Wille, KundInnen zu helfen und prompten Service zu liefern. Es ist nicht in Ordnung, einen Tag zu warten, bevor man E-Mails von KundInnen beantwortet. Auch wenn KundInnen selbst nicht immer sofort reagieren, erwarten diese doch, dass Unternehmen dies tun. Dienstleister tun gut daran, eigene interne Service-Level-Agreements zu definieren, gerade hinsichtlich der Reaktionszeit, z. B.:
- In welchem Zeitraum werden E-Mails beantwortet?
- Wie lange klingelt das Telefon, bis der Anruf entgegengenommen wird?
- Wie schnell und wie freundlich wird auf Gäste an der (Spa-)Rezeption reagiert?
Dies bezieht sich nicht nur auf die Kommunikation nach außen, also kundengerichtet, sondern auch auf die Kommunikation innerhalb des Unternehmens. Gästen ist es wichtig, dass Dienstleister prompt reagieren, und zwar nicht nur bei Notfällen, sondern immer – auch bei scheinbar profanen Anfragen. Ich finde, Reaktionszeit gehört ganz klar zu den wichtigsten KPIs im Spa, deshalb werde ich in einem weiteren Artikel noch einmal ganz besonders auf sie eingehen.
Key Takeaway: „Reaktionszeit“ ist der Wille, KundInnen zu helfen und prompten Service zu liefern.
Dimension #3 Versprechen
Versprechen schließt Wissen und Höflichkeit der MitarbeiterInnen ein sowie deren Fähigkeit, Vertrauen zu vermitteln. Die meisten Spa-MitarbeiterInnen sind ExpertInnen in ihrem Bereich, und Studien haben gezeigt, dass es für Unternehmen sehr sinnvoll ist, dies auch ihren Gästen zu kommunizieren. Wenn Gäste sich bewusst sind über die Qualifikation der MitarbeiterInnen, fallen Bewertungen besser aus. Denn dadurch können Erwartungen schon im Vorfeld beeinflusst und es kann Vertrauen geschafft werden. Spa- & Wellness-Angebote sind Dienstleistungen an Menschen für Menschen. Deshalb haben MitarbeiterInnen einen sehr großen und direkten Einfluss auf die Qualität.
Das Besondere: Die „Produktion“ einer Dienstleistung ist ganz anders als bei Konsumgütern, wie zum Beispiel einer Gesichtscreme. Hier sind BenutzerInnen lediglich VerbraucherInnen der zuvor hergestellten Creme. Mit der Produktion der Gesichtscreme haben VerbraucherInnen nichts zu tun.
Bei einer Dienstleistung wie zum Beispiel einer Massage oder Gesichtsbehandlung, einem Haarschnitt oder einem Arztbesuch sind der Gast / die KundInnen / die PatientInnen jedoch Mit-ProduzentInnen. Die Dienstleistung kann ja schließlich nicht ohne sie erbracht werden! Also haben nicht nur die MitarbeiterInnen, sondern auch der Gast selbst Einfluss auf das Ergebnis. Das bedeutet natürlich zuerst einmal, dass ein Anbieter wissen muss, was er denn überhaupt versprechen kann oder will.
Neulich habe ich in den Nachrichten über den Autohersteller Tesla gelesen, dass dieser angekündigt hat, ein neues „Budget-Modell“ zum Preis von 30.000 USD anzubieten. Tatsächlich gibt es aber kein Fahrzeug von Tesla zu diesem Preis, das günstigste Modell soll bei 35.000 USD starten. Das klingt nicht vertrauensbildend. Versprechen zu halten führt zu Vertrauen in das Unternehmen seitens KundInnen. Die Falle liegt hier im Werbeversprechen: Marketing-Verantwortliche nutzen auffallende Bilder und Slogans, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Gleichzeitig dürfen Werbeversprechen aber nicht überzogen sein, also nicht schon von vornherein nicht eingehalten werden können, wie zum Beispiel das Versprechen „10 Jahre jünger in 5 Minuten“.
Haben Sie auch schon einmal Folgendes erlebt: Sie haben eine Spa-Behandlung gebucht, sind zeitig angekommen, haben sich in der Sauna vorbereitet und freuen sich nun auf die entspannenden 60 Minuten Gesichtsbehandlung mit der Therapeutin. Der Anbieter hat in seiner Kommunikation (Website, Broschüren) versprochen, sich Zeit für Sie zu nehmen, Platz und Zeit für ultimative Entspannung zu bieten und keinen Wunsch offen zu lassen.
Sie werden wenige Minuten vor der Behandlung am Treffpunkt von Ihrer Therapeutin empfangen und in den Behandlungsraum gebracht. Es folgt eine kurze Erklärung des Ablaufes, und los geht’s. Sobald die Behandlung beendet ist, werden Sie wieder hinauseskortiert, die Therapeutin verabschiedet sich rasch. Klar, sie muss weiter, die nächste Kundschaft wartet. Aber wie war das nochmal mit „Wir nehmen uns Zeit für Ihre individuellen Bedürfnisse”?
Key Takeaway: „Versprechen“ schließt Wissen und Höflichkeit der MitarbeiterInnen ein sowie deren Fähigkeit, Vertrauen zu vermitteln.
Dimension #4 Einfühlungsvermögen
heißt, sich zu kümmern. Das ist die individualisierte Kundenbetreuung durch den Anbieter. Wir haben ja schon festgestellt, dass MitarbeiterInnen bei Dienstleistungen direkten Einfluss auf das Qualitätsempfinden des Gastes haben. Das bedeutet also auch, dass es darauf ankommt, WIE etwas getan wird für den Gast, nicht nur WAS für ihn getan wird.
- Kompetenzen und Erfahrung von MitarbeiterInnen
- Schulungen und Trainings, auch in Bereichen wie Psychologie (Konfliktgespräche führen, Köpersprache erkennen)
- Emanzipierung von MitarbeiterInnen (diese bevollmächtigen, in bestimmten Situationen / Ausnahmesituationen eigenmächtig Entscheidungen treffen zu können)
Schön und gut, höre ich Sie jetzt sagen, was aber ist mit Standardisierung? Versuchen wir nicht seit Jahren an unseren SOPs (Standard Operating Procedures) zu arbeiten? Gerade bei Dienstleistungen, bei denen es so schwierig ist, Qualität zu duplizieren? Sollen wir unsere festgelegten Behandlungsprotokolle alle wieder aufgeben? Nein, natürlich nicht, ist meine Antwort. Auch hier wandeln wir auf einem schmalen Grat, auf dem es gilt, das Gleichgewicht zu halten. Natürlich wollen wir uns so oft und eng wie möglich an vorgegebene Ablaufprotokolle halten. Andererseits wollen wir unsere MitarbeiterInnen mit Werkzeug ausrüsten, um sie damit auf Ausnahmesituationen vorzubereiten. MitarbeiterInnen sollen in schwierigen Situationen nicht überwältigt sein – oder hilflos oder gar desinteressiert.
Manchmal finden sich MitarbeiterInnen in Konfliktsituationen wieder. Auf der einen Seite steht die Kundenzufriedenheit, für die wir alles tun wollen, auf der anderen Seite stehen Management-Vorgaben. Ein empathisches „Ich schau mal, was ich für Sie tun kann“ ist stets besser als ein resigniertes „Tut mir leid, das ist halt so bei uns“.
Key Takeaway: „Einfühlungsvermögen“ ist die individualisierte Betreuung der Kundschaft durch den Anbieter.
Dimension #5 Materielles
Hier ist das Erscheinungsbild aller physischen Elemente gemeint, wie das Gebäude an sich, die Inneneinrichtung, Geräte, Uniformen/Haare/Make-up der MitarbeiterInnen, Prospekte, Deko, Sauberkeit etc. Zwar ist diese unter den 5 Dimensionen die scheinbar unwichtigste, dennoch halte ich auch Materielles für sehr relevant. Oft sind es genau diese materiellen Dinge, die es neuen KundInnen erleichtern, die Qualität des Dienstleisters einzuschätzen. Deswegen nennt man diese materiellen Elemente im Englischen auch „Physical Evidence”, also „physische Beweise“.
Es sind Hinweise, durch die wir Rückschlüsse ziehen:
- Ordentliche Uniformen stehen für kompetente MitarbeiterInnen.
- Sauberkeit steht für Hygiene.
- Die adäquate oder moderne Ausstattung bestätigt Qualität.
- Klare Kommunikation wie Hinweistafeln und Richtungs-Schilder fördern Vertrauen.
Key Takeaway: „Materielles“ betrifft das Erscheinungsbild aller physischen Elemente eines Spas.
Nicht alle Dimensionen sind gleich wichtig!
Natürlich reicht es nicht, nur gut auszusehen – Zuverlässigkeit ist immer noch wichtiger! Es ist eine Gratwanderung für Unternehmen, sich nicht in Kleinstdetails zu verzetteln, aber dennoch auch nichts zu übersehen. Die Rangordnung und die jeder Dimension zugewiesenen Prozentzahlen besagen es ja schon: Nicht alle Dimensionen sind für KundInnen gleich wichtig – aber alle 5 sind relevant!
Key Takeaway: Nicht alle Dimensionen sind Kunden gleich wichtig. Aber alle sind wichtig!
Ein Widerspruch? Nicht wirklich. Ja, es ist deutlich, dass Zuverlässigkeit dreimal so wichtig ist wie Materielles. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass wir im Unternehmen jetzt nur noch an unserer Zuverlässigkeit arbeiten müssen und Materielles außer Acht lassen können. Es bedeutet nicht, dass es ausreicht, zuverlässigen Service zu bieten, wenn wir unseren MitarbeiterInnen gleichzeitig ausgewaschene T-Shirts als Spa-Uniformen zur Verfügung stellen.
Die Dimensionen als Entscheidungshilfe
Was ist nun also wichtiger? Mit welcher der 5 Dimensionen beginnt man? Worauf sollte man sich zuerst konzentrieren?
Die Reihenfolge der Dimensionen hilft uns bei möglichen Entscheidungen, z. B. wenn es darum geht, Ressourcen oder Budgets einzusetzen. Wir halten unsere Reaktionszeit für zu lange? Dann ist es sicher sinnvoll, erst einmal daran zu arbeiten, anstatt sich Gedanken über neue Deko zu machen. Die Reihenfolge hilft uns auch bei einer internen Stärken-Schwächen-Analyse: Was machen wir bereits besonders gut? Wo können/müssen wir uns verbessern?
Ebenso hilfreich ist die Reihenfolge der Dimensionen beim Vermeiden von purem Aktionismus und beim Verlieren in Details. Auch wenn es die Kritik an diesem Modell gibt, dass die nachträgliche Erfassung von Erwartungen zu einer Anspruchsinflation der Befragten führe, halte ich das Modell dennoch für beachtenswert. Das Modell der 5 Dimensionen kann Unternehmen helfen, Vorstellungen und Bedürfnisse Ihrer KundInnen besser zu verstehen. Und das führt ganz sicher zu anhaltendem Wettbewerbsvorteil.
© WELLNESSWORLD Business 3-4 / 2019