Qi Gong bedeutet wörtlich die Arbeit mit dem Qi. Darunter versteht die chinesische Medizin wie auch die Philosophie die Vitalkraft, die Energie des Körpers. Bereits in der letzten Ausgabe hat SPA WORLD Business über Taiji berichtet, das sich ebenfalls mit diesem Prinzip auseinandersetzt. Auf die Frage, worin nun der Unterschied zwischen diesen beiden Systemen besteht, antwortet Roland Ortner, Qi-Gong-Lehrer in Wien, dass Qi Gong die Basis ist, aus der sich das Taiji, angereichtert mit Übungen und Bewegungsabläufen aus der Kampfkunst, entwickelt hat. Die Urform des Qi Gong stammt aus der chinesischen Medizin. Dort wurden die Meridiansysteme im menschlichen Körper beobachtet. Die Philosophie der chinesischen Medizin ist primär eine, die der Gesunderhaltung dient, so geht es auch in dieser Bewegungsform darum, erspüren zu lernen, wo die Energie im Körper blockiert wird, um sie danach wieder zum Fließen zu bringen.
Übungssysteme
Wie in den meisten asiatischen Bewegungsschulen haben sich unterschiedliche Systeme etabliert, die meist in der Tradition eines Meisters bzw. Lehrers stehen. Dabei orientieren sich alle an den ungefähr 2.500 Übungen. Die Tradition oder das Übungssystem selbst, so Ortner, sind weniger wichtig. Sie geben eher Aufschluss darüber, wo jemand gelernt hat, ob es eine Art des Qi Gongs ist, die aus der jahrtausendealten Tradition schöpft, oder ob sie adaptiert und sozusagen neu aufgesetzt worden ist.
Die Auswahl des Übungssystems, so empfiehlt Ortner, sollte an den Übungen hängen. Das heißt, der Lehrer sollte Freiraum geben, um zu entdecken. Der große Erfolg stellt sich im Qi Gong immerhin darüber ein, dass man spüren lernt, wo und wie die Energie fließt. Dabei hat das Inhaltliche eine geringe Rolle und genausowenig ist es notwendig, darüber Bescheid zu wissen, was diese Lehre eigentlich ist. Wichtig ist auch, dass der/die Übende sich in der Gruppe wohlfühlt. Und der/die Lehrende sollte in jedem Fall authentisch sein und nicht versuchen, das "eine" Qi Gong zu verkaufen.
Das Üben von Qi Gong gestaltet sich wesentlich einfacher als im Taiji. Hier werden keine Bewegungsfolgen eingeübt, sondern es sind einzelne Übungen, die dazu dienen, die Energiebalance auszutarieren. Ortner meint, um Qi Gong zu üben, muss man auch über kein großes Repertoire an Übungen verfügen. Es reiche, sich auf ein paar wenige Übungen zu beschränken und sich auf diese voll und ganz einzulassen. Der Sinn des Qi Gong ist eben das Spüren lernen, das sich nur über die Wiederholung einstellt, auch wenn das für manche Übende schneller und für andere langsamer geht.
Inhaltliche Einflüsse
Auch wenn zum Üben lediglich die Praxis ausschlaggebend ist, gab es im Verlauf der Geschichte Einflüsse des Daoismus, des Buddhismus und der chinesischen Medizin. Die TCM, besser gesagt deren Heilweise, beruht auf dem Fluss des Qi. Daraus wurde das Konzept von Yin und Yang (siehe letzte Ausgabe) und das der Fünf Wandlungsphasen entwickelt. Die Wandlungsphasen entsprechen den fünf chinesischen Elementen. So werden dem Holz das Steigen, dem Feuer die Ausgestaltung, der Erde die Wandlung, dem Metall das Sinken und dem Wasser die Ruhe des Qi zugeschrieben.
Im Zusammenhang mit dem Qi Gong wird eine Harmonisierung des Qis mit dem Blut und den Körpersäften angeregt. Bereits im 6. Jahrhundert n. Chr. wurden die Lehren des Qi Gong mit der chinesischen Medizin zu einer eigenen medizinischen Fachrichtung verbunden. Der Daoismus hat das Qi Gong zu einer spirituellen Praxis verfeinert. Im Mittelpunkt steht das wu wei, das Nichteingreifen. Diese spirituelle Haltung nicht zu handeln ist nur im Falle eines harmonisierten Qi Flusses möglich. Im Besonderen wird im daoistischen Qi Gong das Führen des Atems geübt und ist eine eher meditative Variante. Als im 5. Jahrhundert n. Chr. der Buddhismus nach China kam, wurde die buddhistische Lehre auf das chinesische Dao übertragen. So entstanden die Entsprechungen des indischen prana und dem chinesischen qi, aber auch die bekannten Dantian, die drei Energiezentren im Unterbauch, dem Brustkorb und dem Gehirn, wurden mit den indischen Chakren verglichen. Der Buddhismus hat vor allem den reinigenden Aspekt ins Qi Gong gebracht, was ebenfalls wieder auf die indische Tradition der Kriyas (Reinigungstechniken) zurückzuführen ist.
Die Essenz - der sich bewegende Bambus
Selbstredend sind Auslegungen und philosophischer Hintergrund an die spirituelle Praxis der einzelnen Richtungen gekoppelt. Was ihnen allen im Grunde gemeinsam ist, ist Achtsamkeit zu entwickeln. Stetes Üben erwirkt ein tieferes Kennen lernen des eigenen Selbst.
Die meisten Systeme sind auch mit Empfehlungen zur Lebensführung gekoppelt. Hierfür gibt Ortner Entwarnung. Im Qi Gong komme es vor allem auf das Üben an. Je tiefer man in sich selber eindringt, desto eher stellt sich eine gesunde, nicht einschränkende Art der Lebensführung ein, ganz von selbst.
Wie man merkt, dass man in tiefere Schichten vorstößt? Ortner lächelt, es beginnt zu Kribbeln, der Körper ist von ungewöhnlichen Empfindungen befallen. Und vor allem merkt man, wie unentspannt man vor dem Üben war.
Qi Gong und Moderne
Die Moderne tut eines gerne, nämlich vermischen. So sind im Laufe der Zeit zahllose Mix-Formen, wie Qi gong dance, Qi Gong Pilates oder auch Qi Gong Yoga entstanden. Ortner hält davon ziemlich wenig, auch wenn es Spaß machen kann, auf diese Art und Weise zu üben, es lenke vom eigentlichen Ziel ab. Das Vermischen ist eher eine Störung als eine empfindungsfördernde Bereicherung. Das gute daran, gibt Ortner aber zu, ist dass auch in diesen Mischformen die Grundbasis nicht verändert werden kann. Und diese neuen Systeme können sich nur aus einer authentischen Basis entwickeln, einer Grundlage, die sich nur über lange andauerndes Üben des klassischen Qi Gong erarbeiten lässt.
Und so bewegt man sich weiter, wie der Bambus im Wind, ohne Widerstand und im eigenen Rhythmus.
SPA WORLD Business, Ausgabe 5/2009