WELLNESS WORLD Business: Herr Wieser, was hat Sie die letzten Jahre umgetrieben?
Andreas Wieser: Nachdem ich 1984 begonnen habe und 36 Jahre lang den Lanserhof aufgebaut und geleitet habe und die Expansion zusammen mit meinen Partnern vorangetrieben habe, war es für mich an der Zeit, einfach auch einmal zu pausieren und in die Welt zu schauen, was in nächster Zeit geschehen wird. Ich wollte mich auch wieder mehr der Forschung widmen und mich vertiefen, was für mich in Zukunft wichtig sein wird. Ich ging der Frage nach, welche neuen Themen die Menschen weltweit bewegen, in Nordamerika oder in Südamerika. Wo findet Innovation statt? Das hat mich sehr bewegt. Nebenbei habe ich mein Doktorat gemacht und eine interessante Forschungsarbeit geschrieben. In letzter Zeit habe ich sehr viele junge Unternehmer betreut und begleitet, unabhängig vom Gesundheitstourismus, steckt heute in jedem Betrieb auch Gesundheit und Wellness drin. Ich half, intelligentere Produkte zu entwickeln und mit Führung anders umzugehen. Als erfahrener Mensch wollte ich den Teams auch helfen, die neuen Märkte besser zu verstehen und Innovation in die Unternehmen zu bringen.
WWB: Sie sind ein Wandler zwischen den Welten – Asien, Europa, Amerika – wo sehen Sie die Unterschiede? Was können wir lernen? Wie unterscheiden sich die Welten voneinander?
A.W.: Im asiatischen Raum wurde die Kultur stark durch die Veden beeinflusst, also die Wissenschaft vom Bauen, der Astrologie, des Heilens und so weiter. Da gibt es eine sehr starke mythologische Geisteshaltung auch durch die Seher, bzw. die „Rishi“, die vieles entwickelt und erforscht und danach in die Welt gebracht haben. Die Aufgabenstellung besteht jetzt darin, das in die heutige Welt zu bringen. Da gibt es einige gute Ansätze mit Ayurveda. In Indien wird diese Art der Medizin aber eher nicht angewendet, sondern wir haben eher Tendenzen, dass schnelle Erfolgsrezepte aus der Allopathie, aus der westlichen Medizin, gefordert werden – dasselbe ist in China und in Japan der Fall. Aber zurück, das sind nach wie vor tolle Konzepte, auch wenn sie bei uns Anwendung finden. Was wir in Nordamerika sehen, sind viele urbane Kulte, wie verschiedenste Arten von Yoga oder Aktivitäten wie wir sie von Jane Fonda aus den 80er Jahren kennen – Aerobic. Heute nennt sich das Bootcamp oder Crossfit Training und so weiter. Ein anderer großer Trend ist die ganze Thematik mit der Selbstoptimierung durch die Neurowissenschaften. Wie beeinflussen meine Gedanken meinen Körper und mein Wohlbefinden. Dann gibt es da auch noch den großen digitalen Bereich, der natürlich sehr stark über Apps die Leistungsfähigkeit und die Befindlichkeit der Menschen unterstützt. Spannend wird, was daraus wieder für neue Formen in der nächsten Zukunft entstehen. Da gilt es für mich als Betrieb eine spezielle Nische zu finden, die zu mir passt. Erfolgreiche Unternehmer werden aus meiner Erfahrung einfach die sein, die sich als Familie oder mit den Teams und auch Quereinsteigern zusammentun, um sich der Produktentwicklung zu widmen. Die Gesundheits- und Wellnessbranche ist eine Persönlichkeitsbranche. Da geht es nicht um einen quick fix sondern um ein tieferes Eindringen in die Materie.
WWB: Welche neuen Berufsgruppen werden dadurch entstehen bzw. welche Produkte? Das heißt, wie könnte Wellness 3.0 aussehen?
A.W.: Also die digitale Welt wird sehr stark in die Wellnessbranche Einzug halten. Diagnostik- und Therapiegeräte in unterschiedlichen Bereichen werden kommen. Dabei wird es einerseits Billigangebote geben mit sozialen Aspekten im Vordergrund, wo die Kunden selber mitarbeiten und mitgestalten und sich gegenseitig behandeln werden. Eventuell werden spirituelle Bereiche in unserer westlichen Welt mehr Platz finden, um vielleicht auch Klöstern in Zukunft wieder eine neue Bedeutung zu geben. In den Klöstern wurden ursprünglich auch Kräuter gepflanzt, es wurde gesungen und getanzt und man beschäftigte sich mit Gott. Gleichzeitig wurde auch gefastet, man ist unterwegs gewesen, war in der Natur und war froh, geschafft am Abend ins Bett zu fallen. Ohne Fitnessmaschine und so weiter. Das wären zukünftige Potentiale. Auch der Wellnessbereich könnte die spirituelle Seite neu beleuchten.
WWB: Eine Frage zum Thema Wellness- und Leitbetriebe - was sollten die in Zukunft berücksichtigen?
A.W.: Wir werden in der Zukunft einen sehr starken Wettbewerb der Ressourcen haben und der Zukunftsstrategien der Unternehmen. Das heißt, Innovation wird sich enorm beschleunigen. Das bedeutet jedoch nicht, kopieren und kreativ klauen und integrieren, sondern Innovation, die fundiert ist, die auf Augenhöhe mit dem Kunden oder dem Gast ist. Das bedeutet, Führungskräfte von Tourismusunternehmen oder auch anderen Unternehmen sollten wie Gärtner im eigenen Betrieb unterwegs sein und die Selbstorganisation des Betriebes unterstützen. Um jedem Einzelnen, der aktiv etwas einbringen möchte, Raum zu geben. Wichtig wäre dabei auch die schwächeren Leute zu unterstützen und zu nähren – was in der Vergangenheit eher vergessen wurde, weil wir sehr familien-hierarchisch in den kleinen Betrieben organisiert sind. Des Weiteren wird es wichtig, wie man wache Leute aus den Masterstudien oder den Bachelor Studien bekommt und ihnen Freiraum gibt, um sich zu entfalten. Die große Aufgabe zukünftig von UnternehmerInnen wird daher sein, zu wissen, wie man Innovationen stimulieren kann. Aber ich muss dies auch in meinem Team in großer Geschwindigkeit umsetzen können. Das wird wichtig für die Wellnessbranche, weil der Kunde auch schon relativ viel weiß – er hat aber auch viel Halbwissen und Wellnessunternehmen können im Sportbereich, im psychologischen und Ernährungsbereich helfen, dieses Halbwissen auch zu verstehen. Das heißt, auch ihn für seinen Lebensplan fit zu machen. Der wichtigste Faktor wird es werden, eine „Social Community“, eine Gemeinschaft zu bilden mit dem Gast. Wo er Dinge hört und sich auf Zeit in seinen Fähigkeiten oder in seinen Lernnotwendigkeiten erleben kann.
WWB: Wunderbar. Wie wichtig sind für Sie soziale Aktivitäten und soziales Engagement von Unternehmen im Gesundheitsbereich? Denn der Aspekt wurde zumindest in Mitteleuropa eigentlich nicht wahrgenommen. Ganz anders in Asien, wo soziale Aktivitäten zum guten Ton eines Unternehmens gehören.
A.W.: Also wir sehen das für absolut wichtig an. Wir sind verstärkt in unseren Arbeitswelten isolierter und stärker global unterwegs mit virtuellen Maschinen. Wir sind in Projekten tätig, wo wir die Endergebnisse nicht immer sehen. Es fehlen uns also die alten sozialen gemeinsamen Entwicklungsstufen und Freude über Ergebnisse, die wir gemeinsam haben. Das heißt, in Zukunft wird der Hotelier wieder wie früher Gastgeber sein und den Leuten die Berge erklären. Es wird auch immer wichtiger, authentische Teams in den Tourismusbetrieben zu haben, die den Job nicht auf Zeit machen, sondern den Gästen authentisches Erleben auf Zeit ermöglichen.
WWB: Gut, heute bietet fast jeder schon authentische Wellness an. Der Begriff ist oft missbraucht. Was heißt das für Sie?
A.W.: Für mich heißt das, mehr zu erkennen, welche Menschen oder Gäste in mein Haus kommen und mit welchen Fähigkeiten ich sie begleiten will. Will ich sie entlasten und mit ihnen in Verbindung bleiben – eine lebenslange Verbindung eingehen? Ein großer Vorteil des Lanserhofs ist das „in Verbindung mit dem Menschen bleiben“ - auf digitaler oder analoger Ebene. Ich kann dort wieder weitermachen wo der Gast gerade steht. Das ist für mich eine authentische Form der Gestaltung. Und wenn wir uns auf die sozialen Aspekte beziehen - man muss sich nur die Vorstädte von großen Städten anschauen mit Yoga und Crossfit Angeboten, Outdoor Bootcamps – das sind klare Botschaften, dass die Leute miteinander etwas tun wollen.
WWB: Wie könnte der Therapiebereich in Zukunft aussehen? Eine intuitivere und individuellere Betreuung etwa?
A.W: Ja, intuitivere und individuellere Betreuung wäre notwendig. Die Schwierigkeit ist oft, dass wir die Leute zubetonieren mit therapeutischen Anwendungen. Diese Überlagerung von verschiedenen Therapiemustern stresst den Menschen mehr, als es ihm guttut. Wenn ich das Energiepotential des Gastes kenne, durch HRV-Analyse oder andere Diagnostik, da gibt es sehr gute Leute inzwischen, die zu fluiden Befindlichkeiten des Menschen forschen, kann ich deutliche Aussagen treffen. Wie, was geschieht bei Leuten, die tanzen, im Vergleich zu Menschen, die Body Building machen. Gut wäre es, sanfte Bewegungsformen zu praktizieren, wo ich Körperwahrnehmung übe und diese leichten Flow oder Trance-Erfahrungen mache, denn das sind Fähigkeiten, die zukünftige Manager und Führungskräfte brauchen. Sie sind dadurch kreativer und produktiver. Das ist uns in den letzten 40 Jahren aber abhanden gekommen, wir sind zu stark in diesen linearen und digitalen Strukturen hängengeblieben und die Körperlichkeit ist stehengeblieben. Wenn wir heute die Jugendlichen anschauen, die sind in ihrer Freizeit zu 70 Prozent Zuhause in digitalen Welten unterwegs – da verkümmern teilweise die Synapsen und die Körperlichkeit. Die Spa- und Wellnessindustrie sowie auch die Medical Wellness-Unternehmen sollten tiefer hineinschauen in diesen Bereich.
WWB: Das ist ein sehr guter Punkt. Sie haben fluide Befindlichkeit angesprochen, auch den soziopsychologischen Menschen – können Sie das etwas genauer präzisieren?
A.W.: Wir sollten unsere Kreativität und die Koordination, die wir im Alltag brauchen, stetig pflegen und nähren. Ich kann nur das ausdrücken, was ich auch aufnehme – das heißt, der Mensch ist von Bildern genährt. Wenn du sagst, du widmest dich jetzt 10 Jahre der Kunst, dann schulst du deine Augen für die Kunst und plötzlich siehst du die Kunst. Das bedeutet, der Mensch sollte neugierig bleiben. Der zweite Teil ist, wie komme ich als Mensch in meine Überschussenergie hinein? Denn unser System wird durch unsere Kraft gesteuert, die wir von der Sonne, der Ernährung und unserer Freude haben. Wir betreiben oft Raubbau am Körper durch Alkohol, Drogen oder sonstige Umstände und damit bin ich ständig im Notstrommodus. Die Aufgabenstellung, die wir allerdings von fernöstlichen Menschen gelernt haben, ist, durch Qigong, durch Meditation und Energiearbeit, durch Tanz, freudige Erlebnisse und vor allem durch Lachen die positive Energie immer in den Vordergrund zu stellen. Die Wellness- und Gesundheitsunternehmen sollten diese Überschussenergie im Menschen stimulieren. Diese hat verschiedene Stufen, ich nenne sie seven steps to heaven, je nach Genen und Konditionierungen, die man in der Jugend mitbekommen hat. Je nachdem ist man in verschiedenen Bereichen ansprechbar – optisch, sinnlich, motorisch, über Humor und Freude, Kunst etc.. Es geht darum, diese Systeme herauszuarbeiten, was bringt dich in ein Glücksgefühl oder in die Erhabenheit, in dieses erhabene Ich. Da fängt man teilweise unten an und geht dann Schritt für Schritt weiter. Ich habe das erlebt bei Managern in den 80er und 90ern, die sehr kopfgesteuert waren, die waren therapieresistent. Da ging es darum, den MIND zu ändern, damit sie für die Körpertherapie empfänglich werden. Die achtsame Körpertherapie ist die wichtigste Anwendung, die diese Glückshormone aktivieren kann.
WWB: Welche neuen Komponenten werden in Zukunft in den Gesundheits- und Wellnessbereich hineinkommen? Psyche und Seele?
A.W.: Ich würde Seele und Bewusstsein nehmen. Oder Körperbewusstsein und Happiness. Das sind die neuen Aufgaben, die sind natürlich schwierig zu kreieren.
WWB: Was ist mit der Psyche?
A.W.: Die Psyche ist auch wichtig – im Sinne, dass ich meine Prägung kenne und meine Verhaltensstrukturen und Kompensationen in meinem Leben. Das heißt Körperbewusstsein, Psyche und Happiness. Das sind die Bausteine.
WWB: Das ist spannend und führt mich zur nächsten Frage. Wir sind eigentlich von drei Kontinenten getrieben im Wellnessbereich. Das sind Nordamerika, Europa und Asien. Wo kommen im Moment die spannendsten Entwicklungen oder Innovationen her?
A.W.: Was wir aktuell haben ist eine sehr starke Patchworkstruktur. Die Wellnessbranche ist sehr patchworkorientiert, da gibt es sehr viele Anleihen, die wir aus den verschiedenen Welten nehmen. Die weit entwickelteste Form der Geist-Seele-Therapie ist sicher die vedische Struktur. Durch Ayurveda, Architektur, Geomantie, das Bauwissen sowie die Horoskope und geistigen Bilder haben die vedischen Formen die besten Konzepte durchgearbeitet. Das sind alte „Rishi“ bzw. Seher, die dieses Konzept entwickelt haben – das ist asiatisch und nach wie vor das Beste, das es auf dem Sektor gibt. Dann haben wir den ethologisch-schamanischen Bereich in Nord- und Südamerika und dann noch Naturvölker in Papua-Neuguinea, die eher naive Strukturen besitzen. Ein neuer Trend kommt aus der Cyberwelt, das sind die sanften Psychedeliks. Fasten kommt auch wieder stark – vor allem dieses „intermediat“ Fasten. Auch alle Formen von Yoga und Tanz. Man hört auch, dass wieder viele Mystiker virulent und neu auftreten und auf der anderen Seite sehr starke neurowissenschaftliche Gruppen. Neuroscience ist ein großes Schlagwort – wie kann ich den Geist überlisten, in ein besseres Selbst zu kommen.
WWB: Abschließend, wir haben ein sehr hohes Niveau in Österreich, auch in Deutschland entwickelt sich das gut. Die Schweiz setzt Signale nach mehr Aktivitäten. Wir jammern daher auf hohem Niveau, den Wellnesshotels geht es im Großen und Ganzen aber recht gut, daher werden sie in den nächsten Monaten oder Jahren keine großen Veränderungen umsetzen. Aber für die Leit- und Pionierbetriebe, was würden Sie denen raten?
A.W.: Ich würde die Wissenschaft wesentlich stärker integrieren. Der Kunde weiß relativ viel, jede vierte Titelseite irgendeiner Wochenzeitung behandelt Gesundheit und Selbstoptimierung. Der Kunde ist also informiert über die neuen Themen, Pulsmesser, Hautwiderstandsmesser, Stimmungsmesser, Apps etc.. Da muss die Wellnessindustrie viel intensiver hineingehen. Vor allem mehr forschen in gemeinsamen Strukturen, in Clustern. Die Schwierigkeit ist, dass Hoteliers nach wie vor nicht konzeptgetrieben sind, sondern eher persönlichkeitsgetrieben.
Vielen Dank für das Gespräch!
© WELLNESS WORLD Business 3-18