Lange Zeit hat sich die Wellnessbranche fast schon darauf ausgeruht, Wohlbefinden zu erzeugen, das gewöhnlich beim Betreten einer Wellnessanlage beginnt, sich mit einer Massage fortsetzt und beim Verlassen der Sauna wieder endet. Auch wenn Schlagworte wie „Ganzheitlichkeit“ und „Nachhaltigkeit“ längst wichtige Begriffe in unserem Sprachgebrauch geworden sind, beziehen sie sich in der Hotellerie meist auf die Vielzahl der Angebote und die Ökologie in Bau und Erhaltung der Anlagen. Warum könnte sich das jetzt ändern?
Nachhaltigkeit
Das Wort „Nachhaltigkeit“ beschreibt zumeist Konzepte, die besonders ressourcenschonende Strategien verfolgen. In seiner ursprünglichen Form bedeutet es jedoch „eine Wirkung, die längere Zeit anhält“. Die Ökologie hat sich sowohl in der Bau- als auch in der Erhaltungsweise längst etabliert. Doch die anhaltende Wirkung von Wellness verliert sich nach dem Aufenthalt. Wer einen Wellnessurlaub genießt, erlebt Gesundheit und Wohlbefinden vor Ort. Nach etwa fünf Tagen lässt dieser Effekt deutlich nach und ist schon bald nicht mehr als eine Erinnerung an vergangene Zeiten.
Wie kann Wellness nachhaltig wirken?
In einer Wohlfühlumgebung, fernab des stressigen Alltags, ist es einfach, sich zu entspannen. Wir versuchen, für ein paar Tage den gefühlten Druck zu vergessen und uns auf das Schöne zu konzentrieren. Das fällt nicht immer leicht. Denn leider kommt uns unser Verstand in die Quere: Wir sinnieren über Vergangenes und sorgen uns über Zukünftiges. Das Genießen des Hier und Jetzt erweist sich für die meisten Wellnessgäste als ganz schön schwierig. Nun sind wir nicht dort, wo wir auf das, was uns belastet, Einfluss nehmen könnten, aber auch nicht vollständig hier, wo wir das Leben einfach nur genießen könnten. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Dann fahren wir nach Hause, lassen die leichtere Zeit des Urlaubs hinter uns und sind wieder mittendrin im Trott. Warum? Uns fehlt die Strategie, die es uns ermöglicht, die Leichtigkeit des Urlaubsfeelings anhaltend in den Alltag zu integrieren. Der Satz „Lass jeden Tag ein bisschen Sonntag sein“ verliert sich umgehend in der Bedeutungslosigkeit, denn wir haben es schlichtweg nicht gelernt.
Doch dabei hilft die empirische Forschung, die aufzeigt, wie sich im Urlaub erlernte Strategien für ein leichteres Leben gut in den Alltag integrieren lassen. Basis für diese Strategien ist stets das Erkennen der eigenen Bedürfnisse und Werte sowie der Handlungen und Denkweisen, die damit einhergehen. Kurz gesagt: Verstehen wir uns selbst etwas besser, wissen wir, wie wir mit uns selbst umgehen müssen. So wird der Verstand durch sein Einbeziehen in das Urlaubsfeeling geschärft für die Veränderungen, die unseren Alltag positiv beeinflussen. Wichtig sind neben einem Zeitmanagement, das Freiräume schafft, und Kommunikationstechniken, die für mehr Klarheit und eine bessere Ausdrucksfähigkeit in Hinblick auf die eigenen Wünsche und Bedürfnisse sorgen, auch die Wertearbeit und das Coaching für einen anhaltenden und damit nachhaltigen Effekt, um das Wellnessgefühl in den Alltag zu tragen. Studien haben gezeigt, dass diese Strategien über Jahre hinweg nicht nur zu einem leichteren Leben führen können, sondern auch bewirken, dass dieser Lernprozess das Entwickeln eigener, neuer Strategien ermöglicht. Eine Hilfe zur Selbsthilfe also.
Was bedeutet Ganzheitlichkeit im Bereich Mental Wellness?
„Körper, Geist und Seele“ als Dreiklang bilden bei klassischen Wellnesskonzepten die Basis sowohl für die Spa-Angebote als auch für ihre Ausrichtung. Doch reicht das schon?
Um den Begriff und die Bedeutung von Ganzheitlichkeit für die Wellnessgäste herauszuarbeiten, hat die Autorin dieses Artikels im Rahmen einer Studie mit Interviews und einer qualitativen Inhaltsanalyse erstaunlicherweise feststellen können, dass Ganzheitlichkeit weit mehr bedeutet, als Körper, Geist und Seele in Einklang bringen zu wollen. Ganzheitlichkeit wurde von den Befragten von der reinen Angebotspalette auf viele weitere Bereiche, wie zum Beispiel Architektur, Umgebung oder Ausbildung der Mitarbeiter*innen, ausgedehnt, bis hin zur ganzheitlichen Sicht der Bedürfnisse der Gäste.
Auch hier ist es die Wissenschaft, die, ergänzend zu den Gästebefragungen als Marketinginstrument, der Wellnesshotellerie helfen kann, in baulichen, administrativen und operativen Prozessen die Bedürfnisse der Gäste zu befriedigen.
Messbarkeit
Gesundheitsdaten zu erheben und miteinander zu vergleichen, gehört zu jeder Form der Therapie, da der Verlauf den Erfolg bestätigt – oder eben nicht! Gesundheitsdaten, die mit dem Wohlbefinden einhergehen, können nun auch gemessen werden. Biofeedback etwa ist eine medizinische Messmethode, die den Menschen mit seiner Gesundheit, aber auch in seinem Wohlbefinden ganzheitlich erfasst.
Gesundheit und Wohlbefinden – wissenschaftlich nachgewiesen und gefördert
Das Messen der Vitalwerte mit medizinischem Biofeedback bringt der Wellnesshotellerie den Vorteil, herauszufinden, welche der unzähligen Entspannungstechniken bei dem betreffenden Gast überhaupt wirkt. Doch nicht nur der Muskeltonus ist ausschlaggebend. Weitere Parameter, wie zum Beispiel die Pulsfrequenz oder die Gefäßweite, die Atmung und vor allem der Hautleitwert, geben Auskunft über die körperliche, emotionale und mentale Verfassung des Gastes. In Echtzeit kann mitverfolgt werden, was ihn stresst, was ihn entspannt, was ihn rührt und was ihn stärkt. Somit werden Gesundheit und Wohlbefinden nicht nur nachweisbar, sondern vor allem auch trainierbar und damit zu einem Instrument des ganzheitlichen Wellnessgedankens im Bereich Mental Wellness.
Alltagstauglichkeit
Waren Sie schon einmal bei einem Arzt, der Ihnen sagte: „Machen Sie doch etwas mehr Sport!“, „Ernähren Sie sich doch ein bisschen gesünder!“ oder gar „Versuchen Sie, den Stress zu reduzieren!“? Das sind alles gut gemeinte Ratschläge, doch bekanntermaßen sind sie in dieser Form schwer umsetzbar, denn wir wissen nicht, wie wir sie im Alltag nutzen könnten. Wir bekommen zwar eine Empfehlung, werden aber mit ihr allein gelassen. Da helfen auch Ratgeber und Internetrecherche wenig, weil jeder Mensch anders ist. Alltagstauglich ist eine Veränderung nur dann, wenn sie klare Handlungsziele und -weisen beschreibt, die in den Alltag integrierbar sind.
Wer bestimmt, was alltagstauglich ist?
Dehnungsübungen um fünf Uhr früh sind für den Schichtarbeiter ebenso wenig umsetzbar wie eine einstündige Mittagspause für so manchen Angestellten. Auch müssen die einzelnen Schritte zum Typ passen. So zeigt der Kommunikationstypen-Test (www.kommunikationstypen.denk-art.at), der von der Autorin konzipiert wurde, nicht nur, wie man mit anderen kommuniziert, sondern auch, wie man mit sich selbst kommuniziert. Denn wir selbst sind die Einzigen, die uns auf Dauer motivieren können. Ein „See-Typ“, dem es wichtig ist, wie er oder sie auf andere wirkt, wird zum Beispiel bei einem empfohlenen Bewegungstraining anders zu motivieren sein als ein „Wald-Typ“, der klare Strukturen und Vorgaben benötigt. Hier hilft die Lebensberatung (nach österreichischen Richtlinien) dabei, mit psychologischen Erkenntnissen – kombiniert mit psychosozialer Beratung – Angebote zu entwickeln, die für den Gast alltagstauglich und umsetzbar sind. Schlussendlich bestimmt der Alltag des Gastes die Alltagstauglichkeit der angeregten Veränderungen für mehr Gesundheit und Wohlbefinden. Daher gibt es keine allgemeingültigen Vorgaben, sondern stets individuelle Konzepte, die zusammen mit dem Gast ausgearbeitet werden müssen.
Freude und Selbstmotivation
Aus dem Ursprungsgedanken der Hotellerie – der Beherbergung von Menschen – haben sich verschiedene Konzepte entwickelt. In der Herberge fand der Reisende ein Bett und Nahrung, im Kloster der Suchende Seelsorge. Die reine Erfüllung der Grundbedürfnisse hat das Gastgewerbe jedoch längst hinter sich gelassen. Lautete das Motto der letzten beiden Jahrzehnte klassisch quantitativ „Höher – schneller – weiter“, recken wir uns nun der qualitativen Bedürfnisspitze immer weiter entgegen. Noch größere Hotel- und Wellnessanlagen bringen uns unseren Wachstumsbedürfnissen nicht mehr näher. Die Erfüllung des Bedürfnisses nach Individualität und Selbstverwirklichung erfordert zuerst die Erkenntnis, wer wir wirklich sind. Welche Bedürfnisse unsere eigenen sind, welche Werte wir leben möchten und welche Lebenskonzepte wir verwirklichen möchten, erfahren wir ausschließlich aus unserer Selbsterkenntnis. Und genau hier finden wir auch unsere intrinsischen Motivatoren – das, was uns Freude macht, treibt uns an.
Wohlbefinden und Veränderung
Wo sonst, wenn nicht im Urlaub, fühlt sich der Mensch wohl? Dabei spielen Faktoren wie die Architektur des Hauses, die Umgebung, die Wellnessanlage, die Spa-Behandlungen, das Beratungsangebot, aber auch Ernährung und Bewegung eine bedeutende Rolle. Die Forschungsergebnisse zum Thema Mental Wellness zeigen deutlich, dass genau das die Basis dafür ist, sich zu öffnen, Neues anzunehmen und Veränderungen zuzulassen.
Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse können der Wellnesshotellerie dabei helfen, der Anbieter zu sein, der mit nachhaltigen, ganzheitlich angewandten und messbar wirksamen Angeboten Menschen in ein leichteres Leben begleiten kann, indem er ihnen alltagstaugliche Methoden an die Hand gibt, die mit Freude zur Selbstmotivation führen und durch eine selbst gewählte Veränderung Wohlbefinden ins Leben der Gäste bringen.
Autorin: Diana Sicher-Fritsch
Die Forschungsergebnisse sind im Frühjahr 2022 in dem Buch „Mental Wellness am Beispiel des OASE-Gesundheitsmodells©“ im Springer-Verlag erschienen.
© WELLNESS WORLD Business 1-3 / 2022





