WELLNESS WORLD Business: Wie würden Sie Gemeinwohlökonomie aus der Sicht des Hoteliers beschreiben?
Karin Leeb: Ich sehe unseren Weg zum Gemeinwohl-orientierten Unternehmen in drei Entwicklungsstufen:
Früher haben wir das Unternehmen aus rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet und bewertet: Kennzahlen aus den Abteilungen, 14-tägige Buchungsvorschau, kurzfristige Erfolgsrechnung, Bilanz usw. Später hat mein Vater den Begriff des „Goldenen Dreiecks“ geprägt – das Zusammenspiel von Gast, Mitarbeiter, Unternehmerfamilie. Er hat gesagt, alle drei „Bilanzen“ müssen stimmen – dann geht es dem Unternehmen gut. Das war aus heutiger Sicht schon ein Gedanke in Richtung „Gemeinwohl-Ökonomie“.
Mit dem ersten Unternehmensbericht nach CSR-Gesichtspunkten kam dann zur ökonomischen Bewertung die soziale Komponente – soziale Verantwortung des Unternehmens, gesellschaftliches Engagement und natürlich die ökologische Verantwortung. Das war für mich der zweite Entwicklungsschritt. Wir waren auf der Plattform „Verantwortung zeigen“ stark engagiert, haben uns mit sozialen Non-Profit-Unternehmen ausgetauscht, tolle Projekt realisiert, haben unsere Umwelt-Bilanz angeschaut und daran bewusst gearbeitet. Der Blick ging aber auch in dieser Entwicklungs-Stufe noch stark in die Richtung der „Mikro-Ökonomie“, dem Anteil des eigenen Unternehmens an der wirtschaftlichen Entwicklung im Ort, in der Gemeinde, in der Branche.
Auf der Nachhaltigkeits-Konferenz 2010 im Pielachtal habe ich Christian Felber über seine Idee der Gemeinwohlökonomie sprechen hören und war sofort begeistert. Sein alternatives Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell geht noch einen Schritt weiter und schaut auf die makro-ökonomische Verantwortung des einzelnen Unternehmens … Wie hoch ist die maximale Gehaltsspreizung, wieviel Demokratie und Mitbestimmung werden im Unternehmen gelebt? Wie werden Gewinne verwendet? Gibt es feindliche Übernahmen, geplante Obsoleszenz von Produkten und Dienstleistungen? Wird ein Betriebsrat verhindert? Wird ethisch investiert und veranlagt? Ist die Arbeit im Unternehmen gerecht verteilt? Das sind ganz neue Parameter und Kennzahlen, die das Unternehmen komplett neu bewerten helfen. Die Gemeinwohl-Bewegung hat in den letzten Monaten und Jahren einen riesengroßen Zuspruch erlebt. Ich habe leider nicht die Zeit, mich weit in die Materie zu vertiefen. Aber ich verfolge die Entwicklungen sehr genau und interessiert.
Was bedeutet Gemeinwohlökonomie für Sie als Touristikerin?
Mich begeistert bei der GWÖ der Blick auf das „große Ganze“ … Wir mit unserem Hochschober haben mehr Anteil an großen Entwicklungen, als wir manchmal denken. Diese Verantwortung wird mir bewusst, wenn wir uns mit den Kennzahlen und Bezugsgrößen aus der Gemeinwohl-Bilanz befassen.
Notwendig war es nicht, dass wir diesen Weg gegangen sind. Es war mehr ein Bedürfnis, diesen Weg zu probieren. Mir hat es nicht mehr gereicht, dass wir uns nach den „alten Parametern“ bewerten, weil ich so viele Widersprüche darin sehe. Arbeiten wir z.B. Mitarbeiter- und sozial-orientiert, haben wir höhere Mitarbeiter-Kosten; die Kennzahl wird dann schlechter. Die Bank füttert ihre Rating-Systeme mit den unreflektierten Zahlen – heraus kommt eine schlechtere Bilanznote, ein schlechteres Rating, schlechtere Zins-Konditionen … Das ist ein Widerspruch. Die GWÖ setzt genau dort an und sagt: Das Unternehmen, das nach gemeinwohl-orientierten Prinzipien handelt (festgelegt als Parameter in der Bilanz), bekommt bessere Kredit-Konditionen und zahlt andere Steuersätze als die Kollegen, die dies nicht tun. Das scheint mir schlüssig und ein positiver Anreiz zu sein.
Wie würden Sie Ihre persönliche Bilanz sehen und welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Wir haben 2014 erstmals eine Peer-group-evaluierte Bilanz erstellt. Das ist die Vorstufe zur Auditierung. Wir hatten das Glück, mit dem „Energiefeld Kärnten“ einen wunderbaren Sparring-Partner an der Hand zu haben, der uns begleitet, sich mit uns ausgetauscht und uns motiviert hat. Die Beschäftigung damit, wo wir im Moment stehen, war ein intensiver Prozess. Es gibt auch Widersprüche zwischen GWÖ und Hochschober-Werten und –Usancen. Das muss man ausdiskutieren und dazu stehen (z.B. Grad der Mitbestimmung für alle Mitarbeiter im Unternehmen). Dennoch lernen wir viel durch die Diskussion im Team und gehen mit diesen Begriffen jetzt viel bewusster um als vorher.
Würden Sie sagen, dass es Mut erfordert, diesen Schritt zu setzen in Richtung „Gemeinwohl als organisiertes Unternehmen“?
Im Nachhinein finde ich, dass es ganz viel Kraft braucht, um diesen Prozess überhaupt zu starten. Die Mitarbeiter fragen sich, wozu wir das jetzt eigentlich gebraucht haben … Noch ein Bericht mehr und noch eine Projektgruppe. Für mich persönlich hat die Beschäftigung im Zuge der GW Bilanz aber auch viel mit der eigenen Identität als Unternehmerin zu tun. Nach welchen Werten will ich meinen Beitrag zur Wirtschaft leisten? Ich habe diesen Prozess als sinnstiftend erlebt, und wir haben mehr bekommen, als wir gegeben haben.
Wie lässt sich das Modell Ihrer Meinung nach in die Praxis umsetzen, und wo sehen Sie Stärken und Schwächen?
Das Konzept der GWÖ wird in der Tat in vielen Unternehmen erfolgreich gelebt und umgesetzt. Für den Hochschober ist die Beschäftigung mit der GWÖ ein Lernweg, auf dem wir uns Schritt für Schritt weiterentwickeln. Derzeit sind wir mit 440 von 1000 möglichen Punkten als gemeinwohlorientiertes Unternehmen „relativ gut“ oder „relativ schlecht“ unterwegs … Gemessen an den Besten (Höchstpunktezahl zwischen 600 und 800 Punkten), müssen wir noch viel an uns arbeiten. Manche Punkte sind nicht realisierbar oder stimmen nicht mit unseren Werten überein (z.B. Betriebsrat).
Ich sehe es als Schwäche an, dass die GW-Bewegung eine riesengroße Organisation geworden ist, die mich als Unternehmerin sehr viel Zeit und Energie kostet, sie zu verfolgen, zu verstehen, zu begreifen. Ich müsste mich auch persönlich involvieren, mitarbeiten, mich mit Menschen austauschen. Das ist im Moment nicht möglich.
Eine absolute Stärke sehe ich darin, dass wir uns mit völlig anders denkenden Menschen, mit EPUs aus alternativen Richtungen, mit sozialen Einrichtungen, mit Unternehmen austauschen, die ähnliche Werte wie wir leben. Die Reibung und der Austausch erzeugen Energie – wir lernen, wir entwickeln uns weiter, wir schauen über den Branchen-internen Tellerrand. Ich empfinde diese Arbeit als Bereicherung und möchte die Kontakte nicht missen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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