Die gestellte Frage gilt als wesentlicher Aspekt der Lebensqualität und des in dieser Gesellschaft möglichen Lebensglücks. Dadurch ist sie aus dem Bereich dessen, was nur individuell verantwortet werden kann, herausgelöst worden und in alle Lebensbereiche eingedrungen: Das moderne Leben insgesamt erscheint einerseits als Chance, andererseits als Risiko für die Gesundheit der Menschen. Mit Errichtung der solidarischen Krankenkassen wurde dieses Risiko folgerichtig vergesellschaftet. Krankheit ist ab nun nicht nur ein individuelles Problem, sondern ein gesellschaftliches („burden of disease“ in der Sprache der internationalen Public Health), Gesundheit wird zu einer unverzichtbaren gesellschaftlichen Ressource, von der die Produktivität und Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und der gesamten Gesellschaft abhängt.
Wie wird Gesundheit heute definiert?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit nicht nur als Abwesenheit von Krankheit, sondern als einen „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens.“ In diesem grundlegend neuen Verständnis von Gesundheit sind zwei Paradigmenwechsel enthalten: Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die Substanz der Gesundheit und verortet diese Substanz zugleich in körperlichen, psychischen und sozialen Tatbeständen. Von daher lässt sich fragen, wie diese Tatbestände entstehen bzw., wie sie gefördert und (wieder-)hergestellt werden können. Das Konzept für die Beantwortung dieser Frage stammt von dem Medizinsoziologen Aaron Antonovsky, der im Konzept der „Salutogenese“ Gesundheit als Resultat des Zusammenwirkens von individuellen und äußeren Faktoren begreift, die entweder ein Risiko oder eine Ressource darstellen. Die Komplexität dieser Situation wird durch das Modell der Gesundheitsdeterminanten von Dahlgren und Whitehead sehr gut illustriert (vgl. Abbildung Salutogenese-Modell nach Antonovsky).
Was ist Gesundheitsförderung in der Politik?
Die Ottawa Charta der WHO (1986) definiert Gesundheitsförderung (GF) als politischen Prozess mit dem Ziel, „allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen (...) Gesundheit entsteht dadurch, dass Menschen für sich selber und für andere sorgen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände ausüben können (…) und dass die Gesellschaft gesundheitsförderliche Bedingungen herstellt.“ Dieser letzte Punkt beinhaltet Sprengstoff, denn wie die Forschung der vergangenen Jahrzehnte eindrücklich gezeigt hat, können nahezu alle Lebensbereiche von der Geburt über Kindergarten, Schule, Arbeit bis ins Pflegeheim für die Gesundheit förderlich oder abträglich sein und in den allerwenigsten Bereichen haben die Menschen tatsächlich die Kontrolle über die dafür relevanten Umstände. Es ist daher nur folgerichtig, dass die Verantwortung für Gesundheitsförderung (GF) politisch nicht allein dem Gesundheitssektor obliegen kann: Die Ottawa Charta fordert daher eine „gesundheitsförderliche Gesamtpolitik“, die als „Health in All Policies“ seit 2006 auch die offizielle Gesundheitspolitik der Europäischen Union bestimmt. In Umsetzung dieser Doktrin hat die österreichische Bundesregierung 2012 die Rahmengesundheitsziele verabschiedet. Gesundheitsförderung (GF) ist in diesem Sinn zuallererst ein politisches Projekt.
Was ist Gesundheitsförderung in der Praxis?
Wie jedes avantgardistische Reformprojekt ist Gesundheitsförderung (GF) zunächst vor allem von bestimmten (Bildungs-)Eliten angenommen und in die Praxis getragen worden. Die Ottawa Charta gibt dafür drei Strategien vor: Interessen vertreten (advocate), Befähigen und Ermöglichen (enable), Vermitteln und Vernetzen (mediate). Im Sinne der ersten Strategie haben sich in Österreich Kammern, Bünde, Gewerkschaften, Versicherungen und andere für GF stark gemacht. Im Sinne der zweiten Strategie zielt GF nicht nur auf die Förderung gesunder Lebensweisen bei Individuen, sondern auch auf die Veränderung der für die Vermeidung von Krankheiten und die Herstellung von Gesundheit verantwortlichen sozialen Determinanten ab. Diese doppelte Aufgabenstellung wird häufig mit den Schlagworten „Verhaltens- und Verhältnisprävention“ bezeichnet. Schließlich wurden global, europäisch und national Netzwerke von Organisationen aus verschiedenen Bereichen gegründet, die einerseits die Gesundheit ihrer Mitarbeiter/innen und Klient/innen, andererseits ihre jeweilige organisationale Performance zu verbessern trachten, und zwar durch Projekte, die teils im Sinne von Qualitätsentwicklungen, teils als Implementation themenspezifischer, häufig getesteter Gesundheitsprogramme durchgeführt werden.
Solche Netzwerke gibt es heute für Schulen, Krankenhäuser, Wirtschaftsbetriebe, Städte und Gemeinden, Gefängnisse, und sogar für Inseln. In Österreich betreibt etwa jede fünfte oder sechste Schule Maßnahmen, die der Gesundheitsförderung zuzurechnen sind, ein ähnlicher Prozentsatz gilt für Krankenhäuser. Das zahlenmäßig größte Netzwerk ist jenes der „Betrieblichen Gesundheitsförderung“ (www.netzwerk-bgf.at), das relativ zu den über 300.000 Betrieben allerdings den mit Abstand geringsten Verbreitungsgrad aufweist. Da viele Projekte von professionellen Dienstleistungsunternehmen unterstützt und beraten wurden und da vom Fond Gesundes Österreich (FGÖ) und anderen Einrichtungen Fortbildungskurse für Gesundheitsförderung (GF) angeboten wurden, hat sich mittlerweile auch ein durchaus nennenswertes Berufsfeld der professionellen Gesundheitsförderer entwickelt. Auf europäischer Ebene wurde für die Akademisierung dieses Feldes ein Rahmencurriculum für GF und ein Akkreditierungsverfahren für universitäre Lehrgangsangebote entwickelt.
Womit befasst sich die Forschung in der Gesundheitsförderung?
Den Definitionen der Gesundheit entsprechend bezeichnet Gesundheitsförderung (GF) nicht nur ein sehr breites thematisches Feld, das nur interdisziplinär abgedeckt werden kann, sondern umfasst wegen der notwendigen Praxisorientierung auch mehrere Forschungsstrategien, die miteinander vermittelt werden müssen. Diese reichen von Grundlagenforschung im Sinne der Untersuchung der Gesundheitseffekte von ökonomischen, ökologischen, politischen, sozialen, psychosozialen etc. Faktoren (Determinantenforschung, siehe Abbildung Gesundheitsdeterminanten) über die Entwicklung und Testung geeigneter Interventionen (Interventionsforschung) und die Überprüfung von Bedingungen für deren Implementation in konkreten Settings (Implementations/Evaluationsforschung) bis zum Monitoring von Transfer- oder Rolloutprozessen (Evaluations-/Nachhaltigkeitsforschung). Hier ist der Forschungsbedarf auch deshalb besonders groß, weil Indikatoren darauf hinweisen, dass es mit Nachhaltigkeit in der GF nicht allzuweit her ist. Auch die Effekte von Bildungsunterschieden und sozioökonomischer Ungleichheit auf die Gesundheit und die Erreichbarkeit von Angehörigen der bildungsfernen und ärmeren Schichten stellen für die Forschung nach wie vor eine Herausforderung dar.
Literatur
- Kickbusch I. Die Gesundheitsgesellschaft – Megatrends der Gesundheit und deren Konsequenzen für Politik und Gesellschaft. Verlag für Gesundheitsförderung, Gamburg (2006).
- WHO. Ottawa Charta für Gesundheitsförderung. WHO, Genf (1986).
- Dahlgren G & Whitehead M. Policies and strategies to promote social equity in health. Stockholm: Institute for Future Studies (1991).
Priv. Doz. Dr. Wolfgang Dür ist Direktor des Ludwig Boltzmann Institut Health Promotion Research in Wien. Seine Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte umfassen die Theorie der GF, Grundlagen und Probleme der GF in Organisationen, systemtheoretische Konzeption und Evaluation von Implementationsprozessen, Interventions- und Evaluationsforschung in der GF, sozialepidemiologische Forschung (Kinder, Jugendliche, Schule) sowie organisationssoziologische Forschung im Kontext der betrieblichen GF.
© WELLNESS WORLD Business 3/2014