Jedes Geschäft lebt von permanenter Weiterentwicklung. Niemand in der Wellnessbranche kann es sich leisten, auf bestehenden Lorbeeren auszuruhen. Den Kunden muss immer wieder Neues geboten werden. Doch neue Produkte fallen nicht einfach vom Himmel. Kreative Ideen brauchen Zeit, Geld und Experimentierfläche, um vielleicht nach einem langen Entwicklungsprozess in die Realität umgesetzt zu werden. Aber wie funktioniert Kreativität? Auch wenn es schwerfällt zu glauben: Kreativität kann man lernen!
Kreativität schwer erfassbar
Sieht man von antiken und biblischen Schöpfungsmythen ab, wurde Kreativität erst im 20. Jahrhundert aktuell. Die Rede des Psychologen Joy Paul Guilford 1950 vor der „American Psychological Association“ markierte den Wendepunkt in der Kreativitätsforschung.Schwierig ist, dass sich außergewöhnliche Kreativität empirisch nicht untersuchen lässt. Keine Testperson kann auf Kommando kreativ sein. Auch wird kreative Leistung oft erst nach langer Zeit erkannt. In den 1960er-Jahren versuchten Wissenschaftler, Kreativität zu definieren.
Kreativität in der Theorie
Der Mediziner, Psychologe und Kognitionswissenschaftler Edward de Bono hat verschiedene Methoden zum kreativen Denken entwickelt,so das Laterale Denken, das Parallele Denken, das CoRT-Programm, die 6-Denk-Hüte, die 6-Werte-Medaillen,Datt(Direct Attention Thinking Tools, die Aufmerksamkeit lenkenden Denk-Werkzeuge).Ergründete1969 den Cognitive Research Trust (CoRT). Mittlerweile hat er 86 Bücher geschrieben, die in über 40 Sprachen übersetzt wurden. An der Universität von Malta wurde 1992 das Edward de Bono-Institut eingerichtet, das Studiengänge in Kreativität und Innovation offeriert. 2009 wurde er anlässlich des „Jahres der Kreativität“ zum „EU-Botschafter fürs Denken“ ernannt. Seine Techniken werden von Konzernen, Bildungseinrichtungen und Regierungen angewandt.
Antike Philosophen und Kirche sind schuld
„Unsere Denkmethoden sind exzellent, aber begrenzt. Sie setzen auf Argumente und Analyse, was jedoch nicht zu neuen Ideen führt“, meint de Bono. „Sie stammen von Aristoteles, Platon, Sokrates. Als die griechische Philosophie in der Renaissance wieder aufblühte, war Bildung in der Hand der Kirche, die kein kreatives Denken, sondern Argumentezur Ketzerbekämpfung brauchte. Erkenntnis war eine Frage des Glaubens, nicht der Wahrnehmung. Es gibt zwar einzelne Erfinder oder Künstler, aber kreatives Denken ist nicht Teil unserer Erziehung.“
Um die Ecke denken
Einer der zentralen Begriffe von De Bono ist das „Laterale Denken“. Es bedeutet Querdenken, unkonventionelles Denken und stellt das Gegenteil von vertikalem logischem Denken dar.Es geht darum, aus dem Gefängnis der alten Ideen auszubrechen und neue zu entwickeln. Diese Fähigkeit kann gezielt optimiert werden. Vier Prinzipien leiten das Laterale Denken: 1) Erkennen beherrschender Vorstellungen und Denkwege,2) Suche nach anderen Wegen, Dinge zu betrachten, 3) Lockerung der strengen Kontrolle, die das rational-logische Denken ausübt, 4)bewusste Verwendung des Zufalls.
Beim logischen Denken muss jeder Denkschritt richtig sein, nicht dagegen beim Lateralen. Für de Bono ist wichtig, Urteile aufzuschieben, Informationen neu einwirken und Freiraum für neue Ideen entstehen zu lassen. Das Laterale Denken verwendet Informationen provokativ, strukturiert Muster intuitiv um und stellt akzeptierte Begriffe infrage. Die Umstrukturierung ist notwendig, um Informationen wirksamer nutzen zu können. De Bono empfiehlt:* den Blickpunkt umkehren* visuelles Denken* Zerlegung eines Problems in immer kleinere Einheiten, um dann eine neue Zusammensetzung zu versuchen* absichtliches Umkehren der Relationen* Analogie, also Übertragung der Relationen einer Situation auf eine andere, leichter zu handhabende Situation* Verlagerung der Aufmerksamkeit von naheliegenden auf weniger signifikante Aspekte. Laterales Denken kann sprunghaft sein.Alles, was sich zufällig aufdrängt, wird ernst genommen, auch wenn nicht jeder Schritt richtig ist.
Die Sechs Denkhüte
Eine Methode sind die „SixThinkingHats“, die in der Gruppe als auch einzeln praktiziert werden kann.Sie dient dazu, eingefahrene Denkmuster zu verlassen und den Blick für Alternativen zu öffnen. Jiri Scherer, Kreativitätstrainer und Geschäftsführer von Denkmotor– Büro für strukturierte Kreativität und Innovation in Zürich: „Firmenmeetings sind für die Teilnehmer oft unbefriedigend. Einer versucht mit aller Kraft, seinen Standpunkt zu verteidigen, und bringt immer die gleichen Argumente. Ein anderer killt eine neue Idee, bevor sie fertig ausgesprochen ist. Ein Dritter erklärt, warum das Projekt nicht durchgeführt werden kann. Ein Vierter kommt gar nicht zu Wort und plant sein Wochenende.“ De Bonos Denkhüte sind weiß, rot, schwarz, gelb, grün, blau, jede Farbe symbolisiert eine bestimmte Denkhaltung. Der weiße Hut steht für Objektivität, wertfreie Informationen, Fakten. Der rote Hut steht für Emotionen. Der Träger kann den Gefühlen freien Lauf lassen. Der schwarze Hut symbolisiert negative Aspekte, Risiken. Es werden alle Argumente geäußert, die gegen eine Entscheidung sprechen. Beim gelben Hut geht es darum, Positives, Chancen zu entdecken, erstrebenswerte Ziele zu formulieren. Der grüne Hut steht für Kreativität und Wachstum. Der Träger formuliert neue Ideen, auch verrückte, unrealistische. Der blaue Hut steht für Kontrolle, Überblick, Prozessmoderation. Seine Aufgabe ist, Ergebnisse zusammenzufassen und Entscheidungen über die weitere Vorgehensweise zu treffen. Nach Klärung der Fragestellung ziehen alle Teilnehmer zuerst den weißen Hut auf und nennen Fakten. Dann setzen alle abwechselnd den roten, schwarzen, gelben, grünen Hut auf und äußern sich entsprechend.Der blaue Hut fasst die Ergebnisse zusammen. Jiri Scherer: „So kann jeder alles loswerden. Die Methode bündelt die Kräfte der Gruppe, da alle Teilnehmer in der gleichen Richtung denken. Sie bewirkt eine Einstellungsänderung, einen Sinneswandel und bietet eine ausgezeichnete Kommunikationsbrücke. In angespannten Diskussionen können die Denkhüte festgefahrene Argumentationsketten auflösen.“ Die Sechs Denkhüte werden von Konzernen wie IBM, BASF oder ABB verwendet. Edward de Bono: „Vor 30 Jahren habe ich Führungskräften von Nokia beigebracht, wie sie kreativer werden können. Danach wurde Nokia von einem auf Klopapier spezialisierten Papierhersteller zum größten Handyproduzenten der Welt.“
Kreativität in der Praxis
Einer, der sein Leben lang kreativ war, ist Paul Haslauer. Der Österreicher hat zahlreiche Produktneuheiten entwickelt, die mittlerweile zum Standard der Wellnessbranche zählen. So etwa das Soft-Pack-System®, eine absenkbare Liege für optimale Wirkung bei Packungen. Das Pflegeproduktwird auf den Körper aufgetragen, dieser mit Folie umhüllt. Die Liege wird in warmes Wasser abgesenkt, der Okklusionseffekt sorgt für verbesserte Aufnahme der Wirkstoffe, das schwerelose Liegen und die ansteigende Temperatur entspannen Muskulatur und Stützapparat. Oder die Salve-in-terra®-Liege, die den Benutzer sanft hin- und herwiegt, allein oder zu zweit. Oder die Sabbia-Med®-Räume, die mit tageslichtähnlicher Bestrahlung einen Strandtagsamt Sonnenaufgang und -untergang simulieren. Der Organismus braucht Sonnenlicht, um Vitamin D zu produzieren. Das beugt der Winterdepression vor. Oder der Kraxenofen®, eine beheizte Sitznische mit Heubad-Wirkung. Oderdas Brotbad, Wärme- und Brotbackstube, denn die beim Brotbacken freigesetzten Sauerteigenzyme regen den Stoffwechsel an. Oder oderoder… Paul Haslauer über Kreativität in der Wellnessbranche: „Es gibt immer einen Bedarf an Innovationen. Ich setze mich nicht einfach hin und denke mir was aus. Neue Ideen kommen nicht zufällig. Vielmehr ist Kreativität ein bewusster Prozess. Innovationen in unserem Hause entstehen, indem die praktizierenden Betriebe, deren Personal und Marketing beobachtet werden. Es geht um die Überlegung: ‚Was müssen die tun, um mehr Erfolg zu haben?’ Hier müssen ganz feine Signale erkannt werden.Die werden dann von mir ausgefeilt, in der Innovationsgruppe unseres Hauses diskutiert, erwogen, geprüft, praktiziert, von allen Seiten her betrachtet und weiter bearbeitet. Oder fallengelassen. Eine Weiterbearbeitung erfolgt nur dann, wenn eine echte Verbesserung unseren Kunden Vorteile bringt. Und wir am Erfolg durch Aufträge beteiligt werden.“
Allein im Experimentierstüberl?
Auf seiner Reiteralm im oberbayrischen Ainringnahe Salzburg hat Haslauer einen Schauraum, in dem Besucher seine Spa-Anlagen und -Einrichtungen besichtigen und ausprobieren können. Hat er eine Experimentierstube, in der er Ideen ausprobiert? „Die Reiteralm ist, für sich gesehen, ein Experimente-Spa. Kein einsames ,Stübchen’ für den Alten. Alles, was der Besucher hier sieht, kann morgen infrage gestellt werden und übermorgen durch etwas Besseres ersetzt werden. Denn das Bessere ist der Feind des Guten.“ Paul Haslauer erläutert am Beispiel der Salve-in-terra®-Liege, was ihm wichtig ist. „Die Salve-in-terra® ist eine Technik, die eine sanfte und großflächige Berührungimplementiert, ohne dass ein Behandler diese Berührungen durchführt. Das ist zum Teil der Kosten wegen wichtig, hauptsächlich jedoch, weil Berührungen an bestimmten Stellen durchaus problematisch werden können. Die Anwendung regt den Badegast zu gleitenden Bewegungen an, die angenehm und anregend empfunden werden können. Zwei Menschen werden analog behandelt. Nach einer gründlichen, fühlbaren Einstimmung werden, wenn gewünscht, beide Liegen so zueinander angeordnet, dass beide Körper einander sehr nahekommen.Wenn auf diesem Wege eine Partnerschaft wieder belebt wird, dann hat das einen großen Wert. Einen weitaus höheren Wert, als die Anwendung gekostet hat. Eigentlich ist die Belebung der Partnerschaft jedes Geld wert.“
Kreativität als Wachstumsmotor
Haslauers Unternehmen hält heute 14 Patente, seine Produkte sind in Europa, Amerika, Arabien und Asien im Einsatz. Doch auch dem Wellness-Guru fällt nicht alles in den Schoß: „Für die Entwicklung eines neuen Produkts sind viele, viele Schritte notwendig. Das kann schlaflose Nächte ausfüllen. Schließlich müssen behandlerische Schritte mit den technischen Möglichkeiten heute und Erwägungen, wie wohl die Zukunft aussehen könnte, in Einklang gebracht werden.“ Die Wellnessbranche gerät durch wachsende Konkurrenz sowie wirtschaftliche Veränderungen zunehmend unter Druck. Umso wichtiger ist es,die Kunden mit Neuheiten zu überraschen. Kreative Ideen müssen nicht immer von Konzernen mit Innovationsabteilungen entwickelt werden. Jeder Einzelne kann kreativ sein – im Kleinen wie im Großen!
Literatur von Edward de Bono
(1968): The Use of Lateral Thinking.
(1971): Laterales Denken: ein Kursus zur Erschließung ihrer Kreativitätsreserven. Rowohlt, Reinbek
(1972): Laterales Denken für Führungskräfte. Rowohlt, Reinbek
(1976): The Mechanismof Mind.
(1986): SixThinkingHats.
(1989): Das Sechsfarben-Denken. Ein neues Trainingsmodell. Econ, Düsseldorf
(1992): Serious Creativity.
(2010):De BonosneueDenkschule. Kreativer Denken, effektiver arbeiten, mehr erreichen. Mvg Verlag
INFO zu Edward de Bono
www.edwdebono.com
www.um.edu.mt/create
www.denkmotor.com
www.kreativ-sein.org
www.debonosociety.com
INFO zu Paul Haslauer
www.reiteralm.de
www.haslauer.info
© WELLNESS WORLD Business 01/2013