Die Wirtschaft wirbt mit Begriffen wie Gewinn, Erfolg, Macht und Geld. Doch wo bleiben andere menschliche Bedürfnisse? Christian Felber unterbreitet in seinem Werk „Die Gemeinwohl-Ökonomie“ (erschienen 2012, Deuticke Verlag) eine neue Basis für die globale Wirtschaft, die humaner, ökologischer und demokratischer sein soll.
Statt auf Gewinnstreben setzt die Gemeinwohl-Ökonomie auf Gemeinwohlstreben und Konkurrenz wird durch Kooperation ersetzt. In den Mittelpunkt rücken Schlagworte wie Nachhaltigkeit, Transparenz und Lebensqualität.
Wieso Gemeinwohl-Ökonomie?
Die Schnelllebigkeit und das Konkurrenzdenken der modernen Wirtschaft machen es unmöglich, auf die „innere Stimme“ zu hören, meint DI Lisa Muhr, Mitgründerin des Fair-Trade-Fashionunternehmens „Göttin des Glücks“ und Botschafterin der Gemeinwohl-Ökonomie. „Wir vergessen, was gesund für unsere Umwelt ist und was nicht. Der Druck, immer mehr zu leisten, verbietet uns, zu versagen. Eine zukünftig funktionierende Wirtschaftsordnung muss diesen Druck herausnehmen und die Kriterien für die Erfolgsbewertung um ethische Werte erweitern." Um festgefahrene wirtschaftliche Strukturen zu lockern, müsse laut Muhr ein Anreizsystem per Gesetz geschaffen und in der Verfassung verankert werden: „Gemeinwohlorientierten Unternehmen soll das wirtschaftliche Handeln leichter gemacht werden als solchen, die nur auf ihr eigenes Wohl schauen.“ Als Belohnung vorgesehen sind in den Ausführungen von Christian Felber rechtliche Vorteile wie niedrigere Steuern, geringere Zölle, günstigere Kredite, Vorrang beim öffentlichen Einkauf etc.
Klingt gut – doch was bedeutet das in der Praxis?
Lisa Muhr:
„Egal in welchen Verhältnissen ein Mensch geboren wurde, jeder hat das Recht auf ein gutes Leben.“
Rechte und Pflichten
„Für mich bedeutet Gemeinwohl, dass das Wohl für alle verfügbar ist. Egal in welchen Verhältnissen ein Mensch geboren wurde, jeder hat das Recht auf ein gutes Leben. Damit geht aber auch die Pflicht einher, die Natur sowie Mitmenschen respektvoll und achtsam zu behandeln“, erklärt Muhr. „Jeder muss erkennen, dass man selber ein Teil des Ganzen ist und so mit seinen Handlungen Einfluss auf das Wohl aller hat.“ Besonders Wellnessunternehmen können laut Muhr hier ansetzen: „Wellness bedeutet für mich jedenfalls Wohlfühlen. Und Gemeinwohl bedeutet ganz direkt Wohlfühlen für alle. Das Kerngeschäft von Wellness- bzw. Hotelleriebetrieben ist es, von vorneherein für das Wohl der Gäste zu sorgen, es fragt sich nur, wie nachhaltig diese Sorge ist.“ Die Integration des Gemeinwohlgedankens in die Unternehmensstruktur beginnt bei der Verwendung von biologischen Lebensmitteln, erneuerbaren Energiequellen und bei sozialem Engagement. Viele Unternehmen gehen aber bereits einen Schritt weiter und versuchen sich nicht mehr an gängigen Gewinnbilanzen, sondern an Gemeinwohlbilanzen zu orientieren. So auch das Hotel Hochschober auf der Turracher Höhe in Kärnten: „Wir haben erkannt, dass uns reine Bilanzkennzahlen auf die Dauer nicht weiterbringen. Diese sind lediglich für die Banken von Vorteil. Eine bessere Möglichkeit zu erkennen, was man in der Unternehmensstruktur ändern soll, ist die Generierung einer Gemeinwohlbilanz“, so Karin Leeb, Inhaberin und Leiterin des Hotels Hochschober. Die erste Gemeinwohlbilanz des Hotels soll bis Ende September fertiggestellt werden und beinhaltet Punkte wie: ökologische Nachhaltigkeit, soziales Engagement und bewusste Mitarbeiterführung. Auch bei dem Kosmetikhersteller Culumnatura orientiert man sich seit jeher an dem Konzept des Gemeinwohls: „In Alternativen zu denken, war schon immer die Leitidee des Unternehmens. So haben wir das Wohl aller im Auge“, erklärt Mag. Katharina Kronsteiner, kaufmännische Geschäftsführerin bei Culumnatura.
Gemeinwohl-Ökonomie:
"Zur Gemeinwohl-Ökonomie zählen alle Dinge, die zur Realisierung des 'größtmöglichen Glücks einer größtmöglichen Zahl von Privatpersonen' beitragen."
Gemeinwohl auf allen Ebenen.
Gemeinwohl – von Mitarbeitern und Kooperationspartnern über das Produkt bis hin zum Kunden – zu leben, scheint unmöglich. Die Ansätze sind daher kreativ und vielfältig.
„Das nachhaltige, ökologische Denken fängt bei uns bereits bei der Möblierung der Büroräume an und erstreckt sich bis hin zu den Produkten, die zu 100 % aus natürlichen Inhaltsstoffen bestehen“, erläutert Kronsteiner. Dazwischen liegt ein Produktionsprozess, der sich an den Ideen der Gemeinwohl-Ökonomie orientiert: „Wir arbeiten zum Beispiel seit Jahren mit einer Behindertenwerkstätte zusammen. In dieser werden die Holzkistchen für unsere Naturborstenbürste hergestellt“, so Kronsteiner. Wirtschaftlich und organisatorisch stellen solche Kooperationen wie auch andere Maßnahmen zur Umsetzung des Konzeptes häufig eine Herausforderung dar, weiß auch Karin Leeb: „Es ist sehr schwierig, alle Kriterien zu erfüllen, um das Optimum des Gemeinwohls zu erreichen. Neben finanziellen Barrieren liegt dies häufig auch an festgefahrenen Betriebs- und Geschäftsstrukturen.“ In einer traditionell gewinnorientierten Wirtschaftswelt ist es nicht einfach, Erfolg nicht länger mit monetären Tauschwertindikatoren, sondern mit – im Idealfall – nichtmonetären Nutzwertindikatoren zu messen. Im Fall der Kosmetikprodukte macht sich dies beispielsweise am überdurchschnittlich hohen Preis der Pflegeprodukte für Haut und Haar bemerkbar. „Man muss Kunden und Kooperationspartnern durch Transparenz die Vorteile der natürlichen Produkte und deren hochwertige Qualität erläutern und ihnen so klarmachen, dass das Ganzheitliche zählt“, erklärt Kronsteiner.
Karin Leeb:
„Der Zufriedenheitslevel unseres Teams ist sehr hoch. Das erkennt man allein an den positiven Bewertungen durch unsere Gäste.“
In der Tourismusindustrie, die durch unregelmäßige Dienstzeiten gekennzeichnet ist, liegen die Probleme bei der Gewährleistung einer gesunden Work-Life-Balance: „Wir versuchen, unseren Mitarbeitern durch flache Hierarchien und flexible Arbeitszeiten entgegenzukommen“, so die Hotelleiterin Leeb und fügt hinzu: „Natürlich können wir hier noch einiges verbessern. Der Zufriedenheitslevel unseres Teams ist jedoch sehr hoch. Das erkennt man allein an den positiven Bewertungen durch unsere Gäste.“
Neben Produkten, Dienstleistungen, Kunden und Mitarbeitern werden in beiden Unternehmen auch die Aspekte Regionalität und Transparenz großgeschrieben. So setzt das Hotel Hochschober bereits seit seiner Eröffnung im Jahr 1929 auf Produkte regionaler Lieferanten.
Transparenz wird bei Culumnatura durch Mitarbeiterschulungen, die Veröffentlichung der Gemeinwohlbilanz des Unternehmens und genaue Beschreibungen der Inhaltsstoffe der Kosmetikartikel für die Verbraucher ermöglicht. Weiters verfügt das Betriebsgelände über einen Erlebnisgarten, der öffentlich zugänglich ist und unter anderem über einen Kräutergarten verfügt, in dem die Inhaltsstoffe der Kosmetikprodukte gedeihen. Produkttransparenz zum Angreifen. Für viele nicht annähernd so begreifbar ist das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie selbst.
Wissen durch Transparenz.
Um Teil des Ganzen zu sein, sollte man wissen, was das „Ganze“ ist. Das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie ist sehr umfassend, bestätigt auch Lisa Muhr: „Die Bewegung wurde in den letzten Jahren von vielen Köpfen aus vielen verschiedenen Ländern in einem partizipativen Prozess entwickelt.“ Dies trägt zwar positiv zu Detailtreue und Vielfalt der Idee bei, macht diese aber schwer vermittelbar.
Dies zeigt sich auch am Feedback der Gäste des Hotels Hochschober: „Wir haben weder negative noch positive Rückmeldungen zu unserem Gemeinwohlkonzept erhalten. Dies liegt meist daran, dass die Gäste zu wenig über dieses neue Wirtschaftsmodell wissen. Um sie darüber aufzuklären, veröffentlichen wir auch eine gekürzte Version unserer Gemeinwohlbilanz, die jedem zeigen soll, was hinter dem Begriff steht.“
Fakt ist, dass alle Dinge, die zur Realisierung des „größtmöglichen Glücks einer größtmöglichen Zahl von Privatpersonen“ beitragen, Bestandteile der Gemeinwohl-Ökonomie sind. Bis Gewinn jedoch nur als Mittel und nicht mehr als Ziel eines Unternehmens gesehen wird, werden wohl noch einige Jahre verstreichen. Erste Schritte in die richtige Richtung sind – wie die Beispiele zeigen – jedoch heute bereits möglich.
© WELLNESS WORLD Business 04/2013