WELLNESS WORLD Business: Wie sehen Sie den Status quo von Kuren in Österreich? Es hat ja einigen Wirbel in den Medien gegeben.
Dr. Wolfgang Foisner: Als Vertreter des Verbands österreichischer Kurärztinnen und Kurärzte weiß ich natürlich eine Menge über die aktuellen Entwicklungen, die unfairerweise im Sommer, in den Ferien, begonnen haben, was strategisch sehr günstig gewählt war. Der aktuelle Stand der Kuren ist, dass sie gut laufen, dass sie gut etabliert sind, dass sie mehr machen könnten als sie können. Natürlich ist dies alles ein Finanzierungsproblem. Die Kuren sind ein wesentlicher Teil der österreichischen Gesundheitslandschaft, sollen es auch bleiben, könnten aber noch verbessert werden, das ist der aktuelle Stand.
WWB: Was sagen Sie aber zu den unterschiedlichen Standards in den Kurhäusern? Es gibt Beispiele und Fälle von Kurgästen, die drei nette Wochen Aufenthalt absolvieren, aber, wenn sie nachhause fahren, nichts von ihren Lifestyle-Gewohnheiten – sprich Essen, Bewegung, Alkoholkonsum etc. – geändert haben.
WF: Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein Kurhaus länger gibt, das so etwas macht, denn im Rahmen der Sozialversicherungen gibt es sehr starke, genaue und scharfe Richtlinien, wo genau geschaut wird, ob die Ruhezeiten eingehalten werden, ob die Nachtruhe eingehalten wird, ob sie die entsprechenden gesundheitsförderlichen Aktivitäten machen, oder nicht. Es kann natürlich sein, dass ein Haus hier aus der Reihe tanzt. Sollte das jemandem auffallen, die Pensionsversicherung hat sehr genaue Kontrollen, die wir auch mehrmals in Bad Hofgastein hatten. – Hut ab, da wird wirklich alles genau umgedreht und alles auch inhaltlich genau betrachtet. Es kann natürlich sein, dass es Sozialversicherungsträger gibt, die mehr auf Erholung Rücksicht nehmen, vielleicht haben sie solche Häuser gesehen, nur das ist dann auch in der Widmung erwähnt. Doch bei der üblichen Kur, wie sie über die Pensionsversicherungsanstalt läuft und im Hauptverband geregelt wird, da dürfte das nicht vorkommen, unvorstellbar aus meiner Sicht.
WWB: Also Sie schließen wirklich aus, dass es dort zu Missbräuchen kommen kann? Es gibt doch teilweise bedenkliche Zustände in Kuranstalten?
WF: Es gilt sehr wohl, im Bereich der Kuren drei Menüs anzubieten, normale Hausmannskost, dann fleischfreie und leichtere Kost. Es kann jeder wählen, ob er abnehmen will, es kann jeder eine halbe Portion nehmen, es besteht kein Alkoholtrinkverbot während der Kur aber Alkoholisierungsverbot. Die Menschen müssen ja kurfähig sein. Es hat nach 22:30 Uhr Ruhe im Haus zu herrschen. – Ausschließen kann ich es nicht, ich bin ja schließlich nicht der Kontrolleur, aber vorstellen kann ich es mir nicht. Die Richtlinien für die Kur sind sehr genau festgelegt, damit die Gäste vor Ort gesünder leben. Es gibt Raucherzonen, es gibt Nichtraucherbereiche, dazu gibt es Vorträge, wenn jemand raucht, muss er auch einen Rauchervortrag über sich ergehen lassen – das gibt Motivation, gesünder zu leben. Im Hotel wird das dann umgesetzt. Insofern kann ich mir nicht vorstellen, dass hier gevöllert und gesoffen wird – nicht vorstellbar. Was die Leute privat machen, ist wieder etwas anderes, wenn sich die dann mit einem Doppler und einem Speck aufs Zimmer zurückziehen und die halbe Nacht Kartenspielen, dann fällt das aber auch auf. Dann würde er/sie belehrt werden, also da haben wir in Hofgastein überhaupt kein Problem. Das ist nur eine Frage des Exekutierens, wie man die Richtlinien umsetzt.
WWB: Es gibt einen konkreten Vorschlag und Vorstoß von Herrn McDonald, wie Sie wissen. Was halten sie von diesen Vorschlägen, vom Kurgast zu verlangen, dass er einen Selbstbehalt zahlt und anderseits auch eine Art Erfolgsnachweis vorlegt?
WF: Prinzipiell ist alles, was der Kur nützt, gut. Es ist jedoch sehr pointiert ausgedrückt, wenn Herr McDonalds sagt, es handle sich um einen staatlich subventionierten Urlaub. Das hat vielen Leuten, u.a. auch mir, wehgetan. – So etwas hätte ich nicht gesagt, das ist unfair. Dass die Leute ein Erfolgserlebnis nachweisen können oder einen Erfolg haben – super. Die Frage ist nur, wie macht man das? Seit Jahren sagen wir von der Kurärzteschaft, dass man die Nachbetreuung zuhause verbessern sollte. Wir haben auch mit Kassen gesprochen, schon vor 20 Jahren, und denen mitgeteilt, dass die Kur Folgekosten und Krankenstände reduziert. Leider wird das aber nicht gemacht und heute heißt es, das sei nicht möglich im Zeitalter der Computer aufgrund des Datenschutzes. Ich glaube, dass das alles nicht stimmt. In Prinzip kannst du sehr wohl aus den Kuren mehr herausholen, man müsste es nur auch zu Hause organisieren, dies kann aber nicht Aufgabe der Kurorte sein.
WWB: Da drängt sich die Frage auf: Was sagen Sie zum aktuellen Kurkonzept? Sehen Sie da Verbesserungsbedarf oder denken Sie, das ist sozusagen der State of the Art und passt das für Sie?
WF: Sicher kann man die Kur verbessern, wie sie jetzt ist. Mit der Bezahlung allerdings, das sei gesagt, steht man ziemlich an. Vergessen Sie bitte nicht, dass das Personal auch bezahlt werden muss und dass die Kurtaxe eigentlich eine Tagespauschaule ist, die man bekommt, mit der Sie managen müssen. Man kann aus der Kur sicher mehr machen – auch im Sinne einer noch besseren Nachhaltigkeit. Kann sein, dass ich vor Ort vielleicht zwei oder drei zusätzliche Informationen und eine Anleitung zur Selbsthilfe anbiete, aber wichtig wäre, dass ich die Leute auch zuhause erreiche. Das könnte man verbessern.
WWB: Das aktuelle Kurkonzept, das in den meisten Kuranstalten praktiziert wird, ist aber relativ alt. Meinen Sie, dass es ist notwendig ist, dem Kurgast neue Konzepte anzubieten?
WF: Das Kurkonzept, da muss ich Ihnen leider widersprechen, ist nicht sehr alt. Es ist vor einigen Jahren mit großem Aufwand komplett umgekrempelt worden. Es ist mehr in Richtung Nachhaltigkeit, Prävention und Eigenverantwortlichkeit erneuert worden. Das ist fünf Jahre her, seitdem ist es deutlich besser geworden und so, wie es jetzt ist, passt es im Prinzip. Man müsste nur, um das noch einmal zu sagen, die Leute vielleicht darin unterrichten, was sie wirklich selber bei kleineren Beschwerden zuhause machen können. Man muss sich nicht immer gleich eine Tablette oder Spritze vom Arzt holen, wenn was wehtut. Hauptsächlich sollte man im Bewegungssektor mehr Gymnastik machen und im Bereich der Ernährung, der Lebensführung, der Work-Life-Balance mehr lernen. Das kann ich den Leuten hier vor Ort sagen. Nur: Zuhause hat man keine Möglichkeit, erinnert zu werden, dann gibt es auch keinen Fortschritt. Das wäre die Verbesserungsmöglichkeit – mehr Betreuung zu Hause, beginnend am Kurort. Es sollten auch nicht weniger als drei Wochen sein, weil schon gesagt wurde, zwei Wochen reichen auch; das stimmt nicht! Es waren früher vier Wochen, bitte nicht vergessen! Vielleicht könnten ein paar Wenige früher entlassen werden, andere hingegen müsste man zuhause nachbetreuen. Die drei Wochen reichen.
WWB: Denken Sie, dass bei Burnout-Prävention zum Beispiel die Wellness-Hotellerie hier ein Partner für die Kuranstalten sein, vielleicht sogar Hand in Hand arbeiten kann?
WF: Ja, freilich, das Ganze steht und fällt ja mit den Fachleuten. Wenn sie jetzt eine Psychologin haben, die sie mit mehreren Hotels teilen, ist das prinzipiell wirtschaftlich günstig, aber vielleicht noch keine sinnvolle Lösung. Die Wellnesshotels können sich einbringen, aber hauptsächlich durch Personal und Dienstleistung. Für psychologische Dinge ist jedoch Fachpersonal notwendig. Prinzipiell ist eine Kooperation machbar, es muss allerdings klar sein, dass die Führungsaufgabe bei der Kuranstalt liegt. Dies entscheidet, ob Burnout-Prävention gelingt. Das wird auch laufend an Kurorten seit zwei bis drei Jahren umgesetzt. Die Sache steht und fällt allerdings mit der Finanzierung. Mit dem derzeitigen Tagessatz kann man das von Kuranstalten leider nicht verlangen.
WWB: Wie sehen Sie Österreich im internationalen Vergleich zu Kuren in Deutschland oder im nahe gelegenen Ausland?
WF: Die Sozialversicherungskur, so wie wir sie in Österreich haben, ist ganz was Besonderes. Sie wird also meines Wissens, in dieser Form, nur in Österreich so militant durchorganisiert und angeboten. Andere Länder sind da schon sehr sparsam geworden; die Deutschen bieten vielleicht auch noch etwas, aber dann ist es aus. Alle Anderen wundern sich, dass wir so etwas machen. Das sind aber Länder, die auch andere Urlaubszeiten haben, die haben keine Freitage, die arbeiten viel länger, also da sind die Sozialvorgaben ganz anders. Österreich liegt gut, hat eine qualitativ hochwertige Kur, und ich hoffe, dass sie erhalten bleibt.
WWB: Herzlichen Dank für das Gespräch!
© WELLNESS WORLD Business 4/2015