„Es klingt bescheuert, aber es war großartig! Mir ging es um meine mentale Fitness. Ich wollte schlafen, denken und runterkommen. Die anderen Patienten waren alle über 60“, beschreibt Rita Ora, britische Sängerin und die erfolgreichste Chartstürmerin 2012, ihre Erfahrung im kontemplativen Kärntner Viva-Mayr-Hotel in Maria Wörth. Der 22-jährige Star, der bei Beyoncés Ehegespons Jay-Z unter Vertrag ist, hat bereits den nächsten Aufenthalt gebucht. Auch die Skandalnudel unter den britischen Künstlern, Tracey Emin, checkt regelmäßig bei Schrot und Korn in Kärnten ein.
In den westlichen Bundesländern tummeln sich jene mit einer verstärkten Nachfrage nach medizinischen Behandlungen: Russische Oligarchen und Potentaten sowie Scheichs aus dem Orient bringen den Rubel zum Rollen. Roman Abramowitsch und anderen Milliardäre lassen ihre verwöhnten Körper zum Beispiel im Lanserhof auf Herz und Nieren prüfen. In den Wiener Privatkliniken gehören Staatenlenker aus dem Osten zu den regelmäßigen Gästen/Patienten. In den Thermenländern Steiermark und Burgenland planschen und entspannen neben österreichischen Gäste auch Touristen aus den Nachbarländern das ganze Jahr über. Doch reicht die Nachfrage, um immer wieder neue Marketingbegriffe in den Markt einzuführen? Experten, Trendforscher und die Zahlen sprechen für sich: Gesundheit, Reisen und Spezialisierung sind Themen, die zusammengehören und gemeinsam Erfolg bringen können. Nur: im Moment mangelt es noch an Vielem; zuallererst an der Begriffsdefinition.
Ein Begriffs-Dilemma
Was lapidar (von staatlicher Stelle) unter dem Begriff „Gesundheitstourismus“ subsumiert wird, sich ab und zu in den Begriffen „Medical“, „Wellness“ oder gar „Alpine Wellness“, „Kururlaub“ und „Thermenaufenthalt“ wieder findet, ist ein Sammelsurium aus nicht genau definierten Angeboten. „Keine verlässliche Bezeichnung, keine offiziellen Daten. Daher macht auch eine offizielle Kategorisierung keinen Sinn“, kritisiert ein verantwortlicher Touristiker den Status quo, wenn es um das Geschäft mit Gesundheit und Wellness geht. Das Marketing tut sich schwer, eine Definition zu finden. Karin Kovar vom Klinikum Malcherhof in Baden: „Wir machen uns in Workshops Gedanken darüber, wofür der Begriff Gesundheitstourismus eigentlich steht.“ Ein Dilemma, das die gesamte Wertschöpfungskette betrifft. Auch von staatlicher Seite ist die Hilfe marginal, geht über Studien und halbherzige Versuche, ein Gütezeichen zu etablieren, nicht hinaus. Eine Studie zum Thema Gesundheitstourismus, die das Bundesministerium für Wirtschaft, Arbeit, Familie und Jugend (BMWFJ) 2011 in Auftrag gab, und die Gründung von Best Health Austria machen noch keinen Markt. Ersteres kann nur ein möglicher Leitfaden sein und lässt (je nach Auftraggeber) kritische Stimmen beiseite. Die Initiative von Best Health Austria ist „toll“ gestartet, wie viele Branchenkenner zugeben, aber dann im Sand verlaufen. „Der Nutzen ist für viele Anbieter nicht klar erkennbar. Hilfestellung gibt es auch keine und das Gütesiegel hat sich ebenfalls nicht durchgesetzt“, behaupten Branchenkenner. Trotzdem: Das Geschäft mit der Gesundheit ist ein boomender Markt und so lange es kein institutionalisiertes Regelwerk gibt, wird es auch weiterhin ein sehr breiter, durchmischter und qualitativ recht unterschiedlicherer Markt bleiben.
Was ist was?
„Österreichische Gesundheitsangebote in ihren vielfältigen Ausprägungen sind heute im Rahmen des nationalen österreichischen touristischen Angebots-Mix eine zentrale Größe“, heißt es selbstbewusst zur oben genannten Studie des Gesundheitsministeriums. Weiters schlagen die Studienverantwortlichen (con.os tourismus.consulting gmbh) folgende Abgrenzung vor:
- Wellness-Tourismus bedeutet Angebote, die primär der Entspannung dienen. Mit einem Anteil von 72 Prozent an den gesundheitstouristischen Nächtigungen handelt es sich bei Wellness um den größten Teilbereich.
- Thermen-Tourismus umfasst alle Betriebe, die natürliche Heilvorkommen in Form von Thermalwasser nutzen (15 Prozent).
- Unter Alpine-Wellness-Tourismus sind jene Produkte zu verstehen, die sich die positive gesundheitliche Wirkung der alpinen Höhenlage, alpiner Materialien und Kulinarik sowie alpiner Heilmittel (z. B. Klima) zunutze machen (3 Prozent).
- Medical-Wellness-Tourismus bezeichnet Angebote mit Fokus auf medizinische Anwendungen und Behandlungen, jedoch ohne zwingendes Beisein eines Arztes. Auch private Kuraufenthalte, für die die Sozialversicherungen nicht aufkommen, fallen in diesen Bereich (10 Prozent).
- Medizintourismus bezieht sich etwa auf medizinische Dienstleistung, Anti-Aging-Behandlungen, apparative Kosmetik und minimalinvasive ästhetische Eingriffe und ist eine verschwindend kleine Nische in Österreich.
Die Boomphase
Eines ist jedoch jedem bewusst: Der Gesundheitstourismus befindet sich in der Boom-Phase: getrieben von der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft und High Net Worth Individuals (HNWI), aber auch dem Durchschnittsbürger, der bereit ist, mehr Geld und Zeit in seine Gesundheit zu investieren. Selbst die Wirtschaftskrise lässt private Ausgaben für Gesundheit nicht sinken, meinte Dietmar Schuster, Büroleiter der Plattform Gesundheitswirtschaft Österreich in der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), beim Symposium für Gesundheitstourismus an der FH Wien.
In Österreich werden jährlich rund 35 Mrd. Euro, das sind 12 Prozent des BIP, für Gesundheit ausgegeben. Davon entfallen 60 Prozent auf die öffentliche Hand. Bereits 40 Prozent sind private Ausgaben, etwa für Zusatzversicherungen, Arzneimittel oder Gesundheitsreisen. Laut einer Studie wird sich der Gesundheitsmarkt bis 2020 mehr als verdoppeln. Das Hotelberatungsberatungsunternehmen Kohl & Partner hat im März 2013 eine Erhebung zum Thema Medical Wellness durchgeführt und ist zu folgendem Ergebnis gekommen: Derzeit verbringen rund 1 Mio. Gäste pro Jahr in Österreich ihren Gesundheitsurlaub. „Somit sind derzeit rund 3 bis 4 Prozent aller Gäste pro Jahr in Österreich Gesundheitsgäste bzw. Medical-Wellness-Touristen“, meint Daniel Orasche von Kohl & Partner. Andere Studien, die aufgrund der Cross-Border-Healthcare-Richtlinie 2011 (Öffnung der Grenzen für die Konsumation medizinischer Leistungen in einem Nachbarland und Verrechnung über die Inlands-Versicherung) erstellt wurden, schätzen den Markt positiver ein und sprechen von jährlichen Wachstumsraten von 10 bis 15 Prozent. Wellness-Experte Orasche erwartet sich jedoch keine große Impulswirkung, „da die Rückerstattungspolitik der Versicherungen als Barriere fortbestehen wird“. Das Wachstumspotenzial liege vielmehr bei rund 5 Prozent.
Zur Unterscheidung
Der Medical Tourism Report des Global Spa Summit 2011 schlägt vor, die Unterscheidungsmerkmale Gast/Patient zu definieren:
- Medical Tourismus: Jeder, der reist, um sich aus gesundheitlichen Gründen Behandlungen zu unterziehen, und sich eine bessere, günstigere oder einfacher zugängliche medizinische Leistung erwartet. Meist werden medizinische Eingriffe jeglicher Art kombiniert mit anspruchsvollem Service eines Hotels.
- Wellness Tourismus: Jeder, der reist, um sich seine Gesundheit zu bewahren und sein Wohlbefinden zu steigern; gesucht werden authentische und traditionelle (regionsspezifische) Anwendungsmethoden.
Der Rubel rollt
Im Vergleich zum durchschnittlichen Hotelaufenthalt (in der Stadthotellerie fiel die Aufenthaltsdauer von 2000 bis 2012 von 4,3 auf 3,6 Nächte), freut sich zum Beispiel der Lanserhof (Österreichs Vorzeige-Herberge in Sachen Medical Wellness) über eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer von 13,5 Nächten und Ausgaben von 700 Euro pro Tag und Person. Der durchschnittliche Hotelgast gibt im Gegensatz dazu nur 110 Euro aus, bestätigt der Tourismus Monitor der Österreich Werbung. Eine Wertschöpfung, die so manchen Hotelier in Richtung Medical Wellness schielen lässt. Gregor Hoch, Präsident der Österreichischen Hoteliervereinigung, sieht im Bereich Medical Wellness Chancen für die österreichischen Hotellerie: „Das Angebot spricht ein zahlungskräftiges internationales Publikum an, die Betriebe spezialisieren sich und heben sich vom Mittelmaß ab: Genau das braucht der Markt.“ Trotzdem warnt Hoch vor zu großen Erwartungen: „Das ist ganz klar kein Programm für die breite Masse. Die Nische ist nicht groß, aber erfolgreich und erfordert hohen Aufwand in der Produktentwicklung und in der Investition. Das ermöglicht höhere Preise, zwar auch bei deutlich höheren Kosten, aber auch im Ganzjahresbetrieb.“ Doch halt, so einfach ist die Sache mit der Umsetzung nicht. Als Negativ-Beispiel dienen die vergangenen 20 Jahre. Der Wellness-Boom hat der Hotellerie nicht nur zusätzliche Betten gebracht, sondern viele kleine Familienbetriebe in den Ruin getrieben. Das Versprechen, mit Wellness mehr Umsätze zu generieren, ging in vielen Fällen nicht auf.
Was wird nachgefragt?
Bevor die österreichische Hotellerie wieder einem nicht genau definierten Marketingbegriff auf den Leim geht, sollten die Gäste befragt werden. Der gute alte Fragebogen ist auch in Zeiten von Big Data das relevante Tool, wenn es darum geht zu sehen, wohin sich das Hotel entwickeln soll. Regelmäßige Gästebefragungen zeigen, inwieweit das Angebot den Bedürfnissen der Gäste hinterherhinkt. Die Österreich Werbung hat in ihrer Reiseanalyse den größten Quellenmarkt, Deutschland, unter die Lupe genommen. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Ansprüche geändert, sind konkreter geworden. Daher können auch die Urlaubsformen besser voneinander getrennt werden als früher. Was den gesundheitsorientierten Urlaub betrifft, legen die Deutschen nun deutlich mehr Wert auf gesundes Essen/Trinken und eine Bade-/Saunalandschaft als noch vor zehn oder fünf Jahren.
Beim Gesundheitsurlaub sowie Kurgästen ist die Nachfrage nach Präventionsangeboten, klassischen Kuranwendungen, aber auch nach Verwöhnangeboten gestiegen. Beim Wellnessurlaub hat vor allem die Nachfrage nach Ruhe, Entspannungs- und Verwöhnangeboten sowie nach Kursangeboten zu speziellen Themen (Gesundheit, Schönheit) zugenommen. Auch die klassische Kuranwendung wird nun deutlich öfter nachgefragt als noch vor zehn Jahren.
Mehr Zusammenarbeit
Als Destination für Gesundheits- bzw. Wellnessurlaube verfügt Österreich bis dato über gute Voraussetzungen – und einen guten Ruf. Gäste schätzen die heimischen Gesundheitstourismus-Betriebe insbesondere aufgrund des hohen Qualitätsniveaus der Angebote und der professionellen Ausbildung der Mitarbeiter. Um diesen Standard zu sichern und den Gästekreis international auszuweiten, sind hochqualitative, authentische und serviceorientierte Angebote und eine einheitliche Vermarktung nach genau definierten Segmenten gefragt. Es wäre daher zu wünschen und zu empfehlen, dass Medical Wellness in Österreich strategisch weiterentwickelt wird. „Der Medizintourismus wird in Deutschland und auch in Asien zum Teil sehr gut forciert und auf politischer Ebene unterstützt – bestes Beispiel ist Bayern, wo das Thema auf hoher politischer Ebene angesiedelt ist“, stellt Orasche fest. Ebenso kritisch beurteilt Martin Fuchs von Premiqamed die aktuelle Lage: „Jeder versucht sich im privaten Bereich und als Einzelkämpfer zu etablieren. Bundesweit ist es ein Desaster.“ Was klar zu erkennen ist: die Kräfte müssen gebündelt werden, ob in Form von Cluster-Zusammenschlüssen zwischen den einzelnen Betrieben oder der Aufwertung bereits bestehender Initiativen.
© WELLNESS WORLD Business 03/2013